Der finnische Generalanwalt Niilo Jääskinen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat heute die erwartete Stellungnahme zum Streit um die Weservertiefung vorgelegt. Das Gutachten – an das der EuGH nicht gebunden ist, obgleich er in den meisten Fällen entsprechend entscheidet – ist eine Klatsche für die Planer.
„Ein Vorhaben wie den Ausbau der Weser dem Verschlechterungsverbot … der WRRL zu unterwerfen, stellt … nicht nur eine bloße Durchführung der WRRL dar, sondern auch die angemessenste Maßnahme, um die praktische Wirksamkeit der WRRL …zu wahren.“ – So schreibt es Jääskinen auf Seite 23 seiner fulminanten Stellungnahme.
Für alle, die sich nicht genau genug auskennen: Gegen die geplante Weservertiefung hat der BUND Bremen Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) erhoben. Das Gericht hatte die Durchführung der Baggerarbeiten untersagt, den Planern etliche Fehler und Versäumnisse vorgeworfen und einige Detailfragen zur Anwendung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) dem EuGH zur Beurteilung und Entscheidung vorgelegt.
Damit aber erhält der Streit um die Weservertiefung eine weit über die Region hinaus reichende Bedeutung. Nicht nur für die ebenfalls strittige Elbvertiefung ist dieses Verfahren entscheidend – das BVerwG hat bekanntlich den Streit um Hamburgs Baggerpläne „ausgesetzt“, bis der EuGH in Sachen Weser entschieden hat, Auch für weitere Konflikte wie etwa um die Ems-Kanalisierung zu Meyers Gunsten oder im Zuge des Kaliabwasser-Streits (um nur zwei nationale Beispiele zu erwähnen), ist das für Anfang 2015 erwartete EuGH-Urteil relevant, weil eben die WRRL umfassend für alle Gewässer gilt.
Die WRRL schreibt bekanntlich vor, die Qualität von Gewässern bis 2015 nach zuvor definierten Kriterien in einen „guten Zustand“ zu versetzen; unter ebenfalls definierten Umständen können zwei jeweils auf sechs Jahre befristete Verlängerungen in Ansprich genommen werden, also bis 2021 beziehungsweise 2027. Jedweder Eingriff aber – ob Ausbau oder Einleitung – unterliegt nicht nur einem „Verschlechterungsverbot“, sondern soll gemäß gleichzeitigem „Verbesserungsgebot“ zugleich auch zur Aufwertung genutzt werden. Beides orientiert sich an so genannten „Güteklassen“ für die Wasserqualität. Unklar ist laut BVerwG, wie verbindlich die WRRL anzuwenden sei bei Eingriffen in Gewässer. Und dazu hat nun Jääskinen eine Auffassung formuliert – so eindeutig, wie eine juristische Stellungnahme es in einem politischen Streit sein kann.
- Grundsätzlich seien EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, einem Projekt die Zulassung zu versagen, wenn es eine Verschlechterung der Gewässerqualität verursachen oder die Erreichung eines „guten Zustands“ gefährden könne.
- Der Begriff „Verschlechterung“ sei auch dann anzuwenden, wenn die nachteilige Veränderung nicht zu einer Neubewertung der Güteklasse führe.
- Eine Bewirtschaftung, die Auswirkungen oder vorhandene Belastungen nicht berücksichtige, würde „dazu führen, der WRRL jede Wirksamkeit zu nehmen“.
- Den Ausbau der Weser dem Verschlechterungsverbot zu unterwerfen, sei „die angemessenste Maßnahme“, um die praktische Wirksamkeit der WRRL zu wahren.
Zwar erläutert und kommentiert Jääskinen ausführlich die WRRL-Vorschriften, die Ausnahmen zulassen, betont aber abschließend, dies sei an „geeignete Bedingungen und Beschränkungen zu knüpfen“. Eben das aber könnte das – wenn der EuGH, wie so oft, dieser Einschätzung in seinem Urteil folgt – dazu führen, dass die Weservertiefung vom Bundesverwaltungsgericht ganz oder teilweise neu verhandelt werden muss. Das erfordert Zeit und das ist im wahrsten Sinne des Wortes „ergebnisoffen“, denn das BVerwG hatte ja nicht nur EU-rechtliche Bedenken – und es scheint zumindest fraglich, ob das alles wirklich zu lösen ist.
Vielleicht sollten die Planer und die beteiligten Bundesländer Bremen und Niedersachsen sich beizeiten am BUND Bremen orientieren, der sie angesichts der Jääskinen-Stellungnahme kurzerhand aufgefordert hat, „von den Planungen für die Weservertiefung zurückzutreten“. Falls der EuGH auf der heute vorgezeichneten Linie des Generalanwalts entscheiden sollte, „ist das Verschlechterungsverbot im europäischen Wasserrecht nicht länger ein zahnloser Tiger“, schreibt der BUND Bremen weiter und „hofft auf einen Schub für den Gewässerschutz in ganz Europa“. Flussvertiefungen an Weser und Elbe mit ihren weitreichenden negativen Folgen für die Flussmündungen gehörten nun endgültig auf den Prüfstand.
Jääskinens Gutachten und das für Anfang 2015 erwartete EuGH-Urteil haben bekanntlich parallel Folgen für die von Hamburg geforderte Vertiefung der Unterelbe auf bis zu 13,50 Meter. Auch dieses Vorhaben wird begründet mit dem Anspruch, den Schiffahrtsstandort zu sichern; auch hier hatten Naturschützer geklagt, das BVerwG setzte die Verhandlung aber aus, bis der EuGH in Sachen Weser entschieden hat.
Dokumentation: „Schlussanträge des Generalanwalts Niilo Jääskinen vom 23. Oktober 2014 in der Rechtssache C-461/13: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. gegen Bundesrepublik Deutschland“ (PDF, 32 Seiten, 481 kB).