Die Sache mit der Urbanisierung…

Die Zukunft unse­rer Zivi­li­sa­ti­on ent­schei­det sich in den Städ­ten“, behaup­tet der Wis-
sen­schaft­li­che Bei­rat der Bun­des­re­gie­rung Glo­ba­le Umwelt­ver­än­de­run­gen (WBGU). Im Früh­jahr die­ses Jah­res hat­te er dies bereits als „Umzug der Mensch­heit“ mit einem Gut­ach­ten zu bele­gen ver­sucht, nun hat er die­ser Initia­ti­ve einen Comic (sie­he Titel­bild links) zur Ver­an­schau­li­chung hin­zu­ge­fügt. Lei­der blei­ben bei die­sem Ansatz vie­le wich­ti­ge struk­tu­rel­le Fra­gen — bei­spiels­wei­se die nach den Ursa­chen des viel­fach zu beob­ach­ten­den Trends „hin­ein in die Metro­po­len“ — weit­ge­hend unbe­ach­tet. Schade. 
Welt­weit wach­sen immer mehr Städ­te immer stär­ker und meist schnel­ler, als es ihnen – ihren Struk­tu­ren, ihren Mög­lich­kei­ten – und den Men­schen gut tut. Für den WBGU ist klar: „Die inter­na­tio­nal ver­ein­bar­ten glo­ba­len Nach­hal­tig­keits­zie­le der Ver­ein­ten Natio­nen und das Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men wer­den nur umsetz­bar sein, wenn wir welt­weit Städ­te nach­hal­tig und lebens­wert gestalten.“

Also wur­den sechs Künst­le­rIn­nen aus Euro­pa, Asi­en und Afri­ka ein­ge­la­den, gemein­sam einen Comic zu gestal­ten, der unter dem Titel „Der urba­ne Pla­net“ auf­zei­gen soll, „wie Städ­te unse­re Zukunft sichern“. Das 30-seitige Ergeb­nis – her­un­ter­zu­la­den oder kos­ten­los zu bestel­len via Web­sei­te (sie­he unten) – ist eine Mischung aus iro­ni­schen und nach­denk­lich stim­men­den Bil­der­se­ri­en, in denen „die Wucht der der­zei­ti­gen Urba­ni­sie­rungs­dy­na­mik “ dar­ge­stellt, aber auch Ansät­ze und Impul­se auf­ge­zeigt wer­den, ihre Aus­wir­kun­gen „nach­hal­tig“ in den Griff zu bekom­men. Der Comic stellt die qua­si unter­halt­sa­me Ergän­zung des WBGU-Gutachtens „Der Umzug der Mensch­heit – Die trans­for­ma­ti­ve Kraft der Städ­te“ dar und soll „ Stadt­ge­sell­schaf­ten Mut machen, sich mit Krea­ti­vi­tät und Spaß für eine lebens­wer­te und nach­hal­ti­ge Gestal­tung ihrer Städ­te einzusetzen“.

Alles gut und schön – nur haben die Pla­ne­rIn­nen die­ser Bro­schü­re zwei­er­lei ver­ges­sen: Ers­tens wird „die Urba­ni­sie­rung“ dar­ge­stellt als eine Ent­wick­lung, die sich irgend­wie so erge­ben hat – es fehlt jeder Ansatz einer Ursa­chen­for­schung, dass etwa „Urba­ni­sie­rung“ im glo­ba­len Nor­den eben­so wie im Süden Fol­ge mas­si­ver Fehl­ent­wick­lun­gen im länd­li­chen Bereich ist bezie­hungs­wei­se sein kann. Es wird völ­lig miss­ach­tet, dass sowohl hier­zu­lan­de als auch auf ande­ren Kon­ti­nen­ten vie­le Men­schen durch­aus nicht frei­wil­lig vom Land in die Städ­te zie­hen; son­dern dass sie viel­fach in die Metro­po­len umsie­deln oder auch flie­hen, weil ihre ver­trau­te Umge­bung wirt­schaft­lich, infra­struk­tu­rell und kul­tu­rell aus­ge­blu­tet wird.

Zwei­tens, aus mari­ti­mer Sicht: Mit einer klit­ze­klei­nen Aus­nah­me – dem Bei­spiel eines ver­müll­ten Stran­des – lässt der Comic kei­nen Bezug zu Küs­ten und Mee­ren erken­nen, unge­ach­tet der Tat­sa­che, dass küs­ten­na­he Metro­po­len welt­weit am stärks­ten wach­sen. 2013 hat­te der WBGU ein her­aus­ra­gen­des Mee­res­gut­ach­ten vor­ge­legt, in dem der Aspekt „einer nach­hal­ti­gen Urba­ni­sie­rung der Küs­ten“ ver­knüpft wur­de mit der Fra­ge „auch nach den not­wen­di­gen Infra­struk­tu­ren im Hin­ter­land“. Das aktu­el­le Haupt­gut­ach­ten zur Urbani-
sie­rung, des­sen Bekannt­heit der Comic för­dern soll, räumt zwar ein, dass „Metro­po­len
… mäch­ti­ge Attrak­to­ren (sind), wel­che dem wei­te­ren Hin­ter­land Res­sour­cen ent­zie­hen, eine beträcht­li­che Land­flucht erzeu­gen“. Aber das war‘s im wesent­li­chen, Ursa­chen­for­schung ist das nicht – und die Fra­ge nach mög­li­chen Alter­na­ti­ven zur Urba­ni­sie­rungs­dy­na­mik wird damit umgangen.

Mehr sie­he hier

Über waterkant

WATERKANT-Redaktion