Big Business Crime – an, auf und in den Meeren? (2)

Von „Heul­bo­jen“ und ande­ren Abzockern

Von Burk­hard Ilschner*

TTIP, Latein­ame­ri­ka, Süd­afri­ka, Ban­gla­desch, Euro-Krise, FIFA, Ukrai­ne, Waf­fen­han­del, Dro­gen­ge­schäf­te, Sozi­al­ab­bau, Über­wa­chungs­staat, Gift­gas oder Organ­han­del – nahe­zu jedes The­ma die­ser Zeit­schrift ist irgend­wie ver­knüpft mit oder abhän­gig von dem so genann­ten mari­ti­men Sek­tor. BIG stellt die­se eben­so viel­fäl­ti­ge wie sub­ven­ti­ons­hung­ri­ge Bran­che in einer losen Artikel-Serie vor (1). In die­ser Fol­ge geht es um die Schiff­fahrt als sol­che – um Ree­der (2) und um See­leu­te. – [Vor­spann aus der Zeit­schrift BIG Busi­ness Crime, ISSN 1861-6526, 4/2015, S. 21]

Deutsch­land ist einer der erfolg­reichs­ten Schiff­fahrts­stand­or­te welt­weit, eine „See­fah­rer­na­ti­on“. Aber wo sind deren Kapi­tä­ne, Steu­er­leu­te, Matro­sen und Maschi­nis­ten? Rüh­men sich nicht die Han­se­städ­te anläss­lich von „Sail“-Paraden oder „Hafen­ge­burts­ta­gen“ ihres mari­ti­men Charmes? Haben nicht Seemanns-Motive jüngst wie­der die Erfolgs­lei­ter der Schla­ger­kul­tur erklom­men? See­fahrt war und ist ein knall­har­tes Geschäft für die einen und ein Kno­chen­job für die ande­ren – jede Roman­tik, wie sie besun­gen oder thea­tra­lisch bespielt wird, fehlt ihr bei rea­lis­ti­scher Betrach­tung eben­so wie jede Exotik.

Zu jedem knall­har­ten Geschäft gehört Geld – das die einen im Über­fluss haben und von dem die ande­ren zu wenig bekom­men. Es geht um Geld, das abge­grif­fen wird durch Steu­er­tricks, aus staat­li­chen Sub­ven­tio­nen oder För­der­pro­gram­men (3). Und es geht um Geld, das so oder so ähn­lich denen vor­ent­hal­ten wird, die es erar­bei­ten. Es geht hier und jetzt einer­seits um die­je­ni­gen, denen Han­dels­schif­fe gehö­ren oder die sie betrei­ben, um damit (viel) Geld zu ver­die­nen. Und es geht ande­rer­seits um die­je­ni­gen, die an Bord die­ser Schif­fe leben und malo­chen, um ihr eige­nes Über­le­ben und das ihrer Fami­li­en zu sichern.

Deutsch­lands mari­ti­me Wirt­schaft ist im inter­na­tio­na­len Ver­gleich stark auf­ge­stellt“, hieß es pau­schal im ers­ten Teil die­ser Arti­kel­se­rie. Dazu etwas genau­er: Grund­sätz­lich zählt die Han­dels­flot­te (4) deut­scher Ree­der seit vie­len Jah­ren zur Spit­zen­grup­pe der Welt­rang­lis­te. Und auch im füh­ren­den Seg­ment der Con­tai­ner­schiff­fahrt lie­gen deut­sche Eigen­tü­mer seit lan­gem an der Spit­ze. Die­se Aus­sa­gen bezie­hen sich aber auf die Schif­fe, die deut­schen Ree­de­rei­en gehö­ren oder von ihnen „beree­dert“ wer­den. Denn die­se Unter­neh­men las­sen nur einen Bruch­teil ihrer Flot­te auch unter deut­scher Flag­ge fah­ren: Gerd Beds­zent hat hier im Früh­jahr kurz die His­to­rie der so genann­ten „Aus­flag­gung“ ange­ris­sen (5), es wird auf die­sen unschö­nen „Brauch“ noch ein­zu­ge­hen sein. Sicher ist aber: Kei­ne Bun­des­re­gie­rung hat je die Abhän­gig­keit der Export­na­ti­on BRD von der See­schiff­fahrt ver­kannt, alle waren immer bereit, die Eigen­tü­mer und Ree­de­rei­en dafür zu hofie­ren – und zu schmieren.

Zunächst eini­ge Bestands­zah­len: Im Jah­re 1970 zähl­te die deut­sche Han­dels­flot­te 2578 Schif­fe – und davon fuh­ren 2578 unter deut­scher Flag­ge (6). Bis Mit­te der 1990er Jah­re ging der Bestand mehr oder weni­ger kon­ti­nu­ier­lich zurück, aller­dings nahm das Trans­port­vo­lu­men im Zuge der Schiffs­grö­ßen­ent­wick­lung eben­so ste­tig zu: 1970 hat­te die Flot­te 7,5 Mil­lio­nen BRZ (7), im Jah­re 1995 bei nur noch 1542 Schif­fen aber 10,8 Mil­lio­nen. Zugleich hat­te der Aus­flag­gungs­trend schon früh in den 1970ern begon­nen: 1980 etwa fuh­ren von 1900 Schif­fen (11,8 Mil­lio­nen BRZ) nur noch 1540 unter deut­scher Flag­ge; 1990 waren es mit 922 nur knapp zwei Drit­tel des wei­ter geschrumpf­ten Bestan­des von 1410 Schif­fen mit 7,5 Mil­lio­nen BRZ.

Die­ser Rück­gang war übri­gens kei­ne deut­sche Erschei­nung: 1980 hat­te die Welt­han­dels­flot­te eine Kapa­zi­tät von 683 Mil­lio­nen BRZ, 1990 nur noch 659 Mil­lio­nen. Erst ab Mit­te der 1990er ging es rasant auf­wärts – eine Fol­ge sowohl der Glo­ba­li­sie­rung als auch der immer druck­vol­ler betrie­be­nen Con­tai­ne­ri­sie­rung: Im Jah­re 2000 wur­den bereits 800 Mil­lio­nen BRZ erreicht, 2009 waren es schon 1,2 Mil­li­ar­den (8).

Zurück zur deut­schen Han­dels­flot­te: Auch die hat ab Mit­te der 1990er Jah­re kräf­tig zuge­legt, unter ande­rem dank krea­ti­ver Steu­er­ab­schrei­bungs­mo­del­le wie etwa der Fonds-Finanzierungen (spä­ter mehr dazu). 1995 fuh­ren mit 825 Schif­fen nur wenig mehr als die Hälf­te des Gesamt­be­stan­des (sie­he oben) unter deut­scher Flag­ge. Wäh­rend aber die Zahl der Schif­fe deut­scher Eigen­tü­mer kon­ti­nu­ier­lich zunahm auf deren Weg zur Welt­spit­ze, nahm das Füh­ren der deut­schen Flag­ge eben­so dras­tisch ab: Für das Jahr 2000 weist die Sta­tis­tik 1850 Schif­fe (19,9 Mil­lio­nen BRZ) aus, davon 717 mit 6,5 Mil­lio­nen BRZ unter eige­ner Flag­ge. Dem Flotten-Spitzenwert von 3784 Schif­fen (88,7 Mil­lio­nen BRZ) des Jah­res 2012 stan­den nur noch 530 Schif­fe mit Schwarz­rot­gold am Heck gegen­über (6). Die aktu­ells­ten Wer­te stam­men vom 31. August 2015, zu die­sem Stich­da­tum bezif­fer­te das Bun­des­amt für See­schiff­fahrt und Hydro­gra­phie (BSH) in Ham­burg die deut­sche Han­dels­flot­te auf 2939 Schif­fe mit 75,1 Mil­lio­nen BRZ – und nur 354 davon füh­ren auch die eige­ne Flag­ge (9).

Abge­se­hen von Begrif­fen wie „Glo­ba­li­sie­rung“ und „Con­tai­ne­ri­sie­rung“ sind für das Ver­ständ­nis sol­cher Zah­len­bei­spie­le meh­re­re Aspek­te von Bedeu­tung. In der ers­ten Fol­ge die­ser Serie war die Rede von der feh­len­den Beschei­den­heit der mari­ti­men Akteu­re. Das gilt nicht zuletzt auch für die Ree­de­rei­en, über die schon 1961 – zehn Jah­re nach Grün­dung der deut­schen Nach­kriegs­han­dels­flot­te – der SPIEGEL schrieb: „Die Ree­der ver­lan­gen von Bonn … Staats­zu­schüs­se und zins­bil­li­ge Kre­di­te. Sie wol­len … als sub­ven­ti­ons­rei­fe Stief­kin­der der frei­en Markt­wirt­schaft aner­kannt wer­den und betä­tig­ten sich in Bonn als Heul­bo­jen, die immer wie­der das­sel­be Leid­mo­tiv ertö­nen lie­ßen: ‚Schiff­fahrt in Not. Ret­tet uns vor dem Ruin.‘“ (10).

Dar­an hat sich bis heu­te nichts geän­dert. Jede kon­stan­te Ent­wick­lung eben­so wie jede Ver­än­de­rung öko­no­mi­scher oder poli­ti­scher Para­me­ter bie­tet Anlass für Begehr­lich­kei­ten und For­de­run­gen. Die­ses stän­di­ge Gezer­re um Ver­güns­ti­gun­gen und Zuschüs­se ist aufs Engs­te ver­floch­ten mit dem Bestre­ben, die errun­ge­ne Posi­ti­on an der Welt­markt­spit­ze mög­lichst noch aus­zu­bau­en – und das geht im herr­schen­den Wirt­schafts­sys­tem bekannt­lich am bes­ten mit gna­den­lo­ser Kon­kur­renz etwa durch Auf­bau von Über­ka­pa­zi­tä­ten, durch Dum­ping bei den Fracht­ra­ten sowie durch rück­sichts­lo­se Kos­ten­sen­kung, zumal wenn die­se nicht nur auf dem Rücken der eige­nen Beschäf­tig­ten erfolgt, son­dern vom Steu­er­zah­ler kom­for­ta­bel abge­si­chert wird.

Um nicht miss­ver­stan­den zu wer­den: Alles, was hier über deut­sche Ree­de­rei­en und die deut­sche Han­dels­flot­te geschrie­ben steht, ist nicht iso­liert zu betrach­ten. Einer­seits steht die hie­si­ge Han­dels­schiff­fahrt nicht nur in Kon­kur­renz zu Ree­de­rei­en ande­rer Natio­nen, son­dern ist zugleich viel­fach mit die­sen ver­floch­ten, sowohl über ein­zel­ne Fir­men­kon­struk­te als auch – und vor allem – über die so genann­ten Lini­en­al­li­an­zen: Kar­tell­ähn­lich befah­ren meh­re­re Ree­de­rei­en gemein­sam und plan­mä­ßig eine bestimm­te Ver­bin­dung (Bei­spiel: Fernost-Nordwesteuropa) und stim­men dabei nicht nur ein­ge­setz­te Schif­fe, son­dern auch deren Rou­ten, Ter­mi­ne und Tari­fe unter­ein­an­der ab. Ande­rer­seits muss jedes neue „Heulbojen“-Signal immer auch rela­tiv gese­hen wer­den: Es ist unstrit­tig, dass ande­re Natio­nen – und bei wei­tem nicht nur Billigflaggen-Staaten! – ihre Ree­de­rei­en und ihre Flot­ten auf min­des­tens eben­so viel­fäl­ti­ge Wei­se begüns­ti­gen und sub­ven­tio­nie­ren wie es hier­zu­lan­de seit den 1960ern üblich ist. Das ver­zerrt zwei­fel­los die (sie­he oben: ver­floch­te­ne) Wett­be­werbs­si­tua­ti­on, för­dert aber im sel­ben Maße das Ver­hal­ten der Bran­che, sich stän­dig als not­lei­dend aus­zu­ge­ben. Und das oft so krass, dass manch einer sich fragt, war­um es über­haupt noch Ree­der gibt – denn von wohl­tä­ti­gen Zie­len war nie die Rede, irgend­wie scheint sich das knall­har­te Geschäft ja doch auszuzahlen.

Und das seit fast 65 Jah­ren: Als 1951 die Alli­ier­ten Hoch­kom­mis­sa­re der BRD wie­der Schiff­bau gestat­te­ten, kam das seit Kriegs­en­de nur trä­ge düm­peln­de Geschäft deut­scher Ree­der wie­der in Fahrt (11). Schiff­fahrts­hil­fen im heu­ti­gen Sin­ne gab es damals so gut wie kei­ne, dafür wur­den die Ree­de­rei­en mas­siv sub­ven­tio­niert beim drin­gend not­wen­di­gen Flot­ten­neu­bau: Als Ein­stieg gab es per (ein­stim­mi­gem!) Bun­des­tags­be­schluss schon mal 100 Mil­lio­nen D Mark als Kre­di­te, die erst in 16 Jah­ren abzu­lö­sen waren, dazu steu­er­be­güns­tig­te Ban­ken­mit­tel sowie die orga­ni­sier­te Opti­on abschrei­bungs­be­vor­zug­ter pri­va­ter Anla­gen, für die in Schiff­fahrts­zei­tun­gen und Bör­sen­blät­tern mas­siv gewor­ben wur­de. Aller­dings hat­ten die­se Begüns­ti­gun­gen auch ihren Preis – offen­bar besaß in jener Zeit die Poli­tik noch Rück­grat genug, Bedin­gun­gen an gewähr­te Hil­fen zu knüp­fen: Als 1956 die „Inter­na­tio­nal Cham­ber of Ship­ping“ wegen der mas­siv begin­nen­den Ten­denz zur Aus­flag­gung har­sche Kri­tik an den „Groß­ver­die­nern der inter­na­tio­na­len Schiff­fahrt“ übte, schrieb der SPIEGEL in sei­nem Bericht über das Don­ner­wet­ter und die teil­wei­se wüten­den Reak­tio­nen der kri­ti­sier­ten Ree­der: „Die west­deut­schen Kon­fe­renz­teil­neh­mer … muss­ten sich der­ar­ti­ger Andro­hun­gen ent­hal­ten. Das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um hat den Besit­zern der mit staat­li­cher Hil­fe finan­zier­ten west­deut­schen Nach­kriegs­han­dels­schif­fe den Flag­gen­wech­sel aus­drück­lich unter­sagt“ (12). – So ein­fach war das damals!

Wäh­rend aber die einen Groß­ver­die­ner ihre Pro­fi­te per Run in die Bil­lig­flag­gen sicher­ten oder stei­ger­ten, konn­ten sich ande­re auf ihre Regie­run­gen ver­las­sen, die ihnen jed­we­de finan­zi­el­le Unbill mit Steu­er­mit­teln vom Hal­se hielt. Schon Anfang der 1960er bejam­mer­ten die deut­schen Ree­de­rei­en anläss­lich ihrer oben erwähn­ten „Heulbojen“-Kampagne (10) vor allem die mas­si­ven Sub­ven­tio­nen, die Bran­chen­kol­le­gen befreun­de­ter Nach­bar­staa­ten zu beträcht­li­chen Vor­tei­len ver­hal­fen: „Dabei taten sich beson­ders West­deutsch­lands EWG-Partner Ita­li­en und Frank­reich her­vor. Ita­li­en gewährt sei­nen Ree­dern mit bun­des­deut­scher Zustim­mung Dar­le­hen, Zins­zu­schüs­se und Steu­er­rück­ver­gü­tun­gen, wenn damit neue Schif­fe finan­ziert wer­den. (…) Frank­reich stützt nicht nur den Schiff­bau, der Staat betei­ligt sich auch an Groß­ree­de­rei­en und gleicht Ver­lus­te mit Steu­er­mit­teln aus. In den meis­ten ande­ren Län­dern wie Groß­bri­tan­ni­en, Nor­we­gen, Däne­mark und Hol­land wird die Schiff­fahrt zumin­dest durch Steu­er­ver­güns­ti­gun­gen geför­dert“ (10).

Zwar fass­te der SPIEGEL die deut­sche Situa­ti­on in dem mar­kan­ten Satz: „Die meis­ten Schiffs­eig­ner sind hoch ver­schul­det“ zusam­men. Das Maga­zin wuss­te aber als „Beweis ihrer Exis­tenz­not“ nur auf ein von der Bran­che selbst vor­ge­leg­tes Gut­ach­ten zu ver­wei­sen, wonach „80 bis 90 Pro­zent aller Ree­der wäh­rend der letz­ten Jah­re buch­mä­ßig mit Ver­lust fuh­ren, das heißt, ihre Ein­nah­men deck­ten höchs­tens die Betriebs­aus­ga­ben wie Heu­er, Treib­stoff, Schiffs­ver­si­che­rung und den Unter­neh­mer­lohn, den sich die Ree­der selbst bewil­li­gen“ (10). Ins­be­son­de­re der letz­te Teil die­ses Zitats aus dem Jah­re 1961 ist sym­pto­ma­tisch und ver­dient Beach­tung bis in heu­ti­ge Tage: Wann immer öffent­li­che Gel­der in pri­vat­wirt­schaft­li­che Kanä­le gepumpt wer­den, fehlt es an über­prüf­ba­rer öffent­li­cher Kon­trol­le über die wah­re Finanz­la­ge des so sub­ven­tio­nier­ten Unter­neh­mens und sei­ner (in der Regel lega­len) Tricks, Pro­fi­te buch­hal­te­risch zu ver­schlei­ern. Letzt­lich waren damals die „Heul­bo­jen“ ziem­lich erfolg­reich und durf­ten sich über drei­stel­li­ge Mil­lio­nen­sub­ven­tio­nen freu­en – unter ande­rem als Aus­gleich für Ver­lus­te durch Wäh­rungs­schwan­kun­gen, vor allem durch D-Mark-Aufwertung in einer über­wie­gend nach US-Dollar abrech­nen­den Branche.

Unge­ach­tet aller (sie­he oben) Ver­flech­tun­gen und Wettbewerbs-Probleme muss eines klar­ge­stellt wer­den: Die Phan­ta­sie der Ree­der im Erfin­den von Aus­re­den und Beden­ken ist beacht­lich. Vie­les davon mag auch zu einer even­tu­ell ange­spann­ten Lage bei­tra­gen – aber wenn in Pha­sen enga­gier­ten Sub­ven­ti­ons­po­kers ein­zel­ne Unter­neh­men Jah­res­ab­schlüs­se vor­le­gen mit über­durch­schnitt­li­chen Divi­den­den, dann ist das min­des­tens so unver­fro­ren wie das Ver­schwei­gen selbst­ver­schul­de­ter Ursa­chen für Ertrags­schwä­chen: Der damals wie heu­te beharr­li­che Neu­bau von immer wei­te­ren Schif­fen trägt (zumal „ande­re“ es gleich­tun) zu mas­si­ven Über­ka­pa­zi­tä­ten bei, die ihrer­seits die Fracht­ra­ten in den Kel­ler trei­ben. Und es ist skan­da­lös: Denn die­se Neubau-Orgien wur­den und wer­den nicht nur viel­fäl­tig vom Staat sub­ven­tio­niert – viel­mehr sind es staat­li­che Ban­ken, die den Ree­dern Fonds- und ande­re Finan­zie­run­gen als Abschreib­e­mo­del­le, ergo als Steu­er­schlupf­lö­cher, gera­de­zu andie­nen. Und wenn – wie im Fal­le etwa der HSH Nord­bank – ein sol­ches Insti­tut in Schief­la­ge gerät, wird mit wei­te­rem Steu­er­geld und poli­ti­schen Tricks die „Abwan­de­rung des für die mari­ti­me Wirt­schaft wich­ti­gen“ Schiffs­fi­nan­zie­rungs­ge­schäfts abge­wen­det (13).

Selbst­ver­ständ­lich liegt die Schuld für Kri­sen und Brü­che immer bei ande­ren. In den 1960er Jah­ren fuh­ren west­deut­sche Schiffs­eig­ner zwar stän­dig stei­gen­de Gewin­ne ein, 1969 etwa galt als Rekord­jahr der Nach­kriegs­zeit. Trotz­dem jam­mer­te der Ver­band Deut­scher Ree­der (VDR) Anfang der 1970er über gestie­ge­ne Treibstoff-, Personal-, Reparatur- sowie Lade- und Lösch-Kosten; und addier­te dies in Ver­bin­dung mit besag­ten Raten­tiefs und Über­ka­pa­zi­tä­ten zu einem Unter­gangs­ge­schrei, als des­sen Ergeb­nis eine mas­si­ve Ausflaggungs-Welle begon­nen wur­de. Eini­ge real selbst ver­schul­de­te Fak­to­ren aller­dings waren in all dem Weh­ge­schrei nicht zu hören:

  • Die rasch zuneh­men­de Con­tai­ne­ri­sie­rung erzeug­te Druck auf dem Neu­bau­markt, denn geeig­ne­te Schif­fe muss­ten her. Aber die dadurch über­zäh­lig wer­den­den alten Mehr­zweck­frach­ter wur­den nicht ver­schrot­tet: Statt­des­sen ver­hö­ker­ten die Ree­de­rei­en ihre Alt­ton­na­ge pro­fi­ta­bel an Dritt­welt­län­der, die nun ihrer­seits auf Ladungs-„Jagd“ gin­gen und dabei mit Dum­ping­ra­ten auf jenes Branchen-Establishment „schos­sen“, das ihnen gera­de die Schif­fe ange­dient hatte.
  • Und: Es gab Mit­te der 1970er hef­ti­ge Zer­würf­nis­se zwi­schen dem VDR und der Schiff­bau­in­dus­trie, weil deut­sche Unter­neh­men ihre Neu­bau­ten immer häu­fi­ger in Fern­ost bestell­ten, trotz­dem aber Bun­des­hil­fen dafür in Anspruch nah­men. Allein im ers­ten Halb­jahr 1975 bei­spiels­wei­se sei­en 46 Ein­hei­ten im Wert von mehr als einer Mil­li­ar­de D-Mark im Aus­land geor­dert wor­den, kri­ti­sier­te laut SPIEGEL der Ver­band der Deut­schen Schiff­bau­in­dus­trie; weil aber der Bund damals jede Neu­be­stel­lung mit 7,5 Pro­zent der Auf­trags­sum­me prä­mi­ier­te, sei­en „durch das Fremd­ge­hen der Ree­der … gut 80 Mil­lio­nen Mark Steu­er­geld … an die fal­sche Adres­se über­wie­sen“ wor­den (14). Als teu­re Skur­ri­li­tät jener Zeit darf übri­gens auch gese­hen wer­den, dass etwa Tan­ker, die mit deut­schen Sub­ven­tio­nen im Aus­land gebaut wur­den, anschlie­ßend zusätz­lich vom „Tan­ker­son­der­pro­gramm“ des Bun­des pro­fi­tier­ten, sofern sie unter deut­scher Flag­ge geführt wur­den: Vor allem die Deut­sche ESSO soll da recht krea­tiv gewe­sen sein.

Die 1970er und auch 1980er Jah­re waren mit dem Beginn einer glo­ba­len Logis­tik­ent­wick­lung geprägt von radi­ka­len Brü­chen in der Schiff­bau­bran­che. Nach Fern­ost „expor­tier­tes“ west­eu­ro­päi­sches Know­how (1) addier­te sich mit loka­len Niedriglohn- und Arbeits­be­din­gun­gen zu einem Werf­ten­boom am West­pa­zi­fik, dem hie­si­ge Schiff­bau­er nicht stand­hal­ten konn­ten; dem mas­si­ven Ver­fall etwa im Groß­tan­ker­be­darf stand die wach­sen­de Nach­fra­ge nach immer grö­ße­ren Con­tai­ner­schif­fen gegen­über. Ab der zwei­ten Hälf­te der 1970er führ­te dies in Ver­bin­dung mit der unkon­trol­lier­ten Sub­ven­tio­nie­rung zu einer Wel­le von Plei­ten vor­wie­gend klei­ner und mitt­le­rer Werf­ten. „Nur die fünf Gro­ßen der Bran­che – Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW), AG „Weser“, Blohm + Voss, Bre­mer Vul­kan und Rhein­stahl Nord­see­wer­ke – könn­ten … über­ste­hen“, schrieb die ZEIT im Jah­re 1977; heu­te wäre ein „aber nicht dau­er­haft“ hin­zu­zu­fü­gen (15).

Immer­hin reagier­te die dama­li­ge Bun­des­re­gie­rung unter Fre­gat­ten­kanz­ler Hel­mut Schmidt (SPD) auf unge­wohn­te Wei­se: Neben allen Auf­trä­gen der Bun­des­ma­ri­ne kam „Schmidt-Schnauze“ den Schiff­bau­ern auch durch Neu­ord­nung der Ree­der­hil­fe ent­ge­gen: Er ließ den Neubau-Fonds kon­ti­nu­ier­lich auf­sto­cken und gewähr­te den Schiffs­eig­nern erst 12,5 und schließ­lich 17,5 Pro­zent des Bau­prei­ses aus Steu­er­mit­teln. Aller­dings knüpf­te er ähn­lich sei­nem Vor­vor­gän­ger Kon­rad Ade­nau­er an die­se Sub­ven­ti­on die Bedin­gung, die Neu­bau­ten min­des­tens befris­tet unter deut­scher Flag­ge fah­ren zu lassen.

Klar, dass der VDR sich in bekann­ter Unma­nier mokier­te: 22 Pro­zent müss­ten es schon sein, damit Auf­trä­ge an deut­sche Werf­ten gehen könn­ten; und auch die ange­ord­ne­te Bücher­re­vi­si­on vor Inan­spruch­nah­me der Hil­fen sowie die Pflicht, die­se zu ver­steu­ern, pass­ten dem Ver­band über­haupt nicht. Zudem ließ er sich mit teu­er bezahl­ten Gut­ach­ten die Berech­ti­gung wei­te­rer „Heulbojen“-Rufe wis­sen­schaft­lich beschei­ni­gen: „Sie, die mit ihren Auf­trä­gen den deut­schen Schiff­bau wie­der mit­an­kur­beln sol­len, wol­len das­sel­be, wor­auf auch die Werft­her­ren unge­dul­dig war­ten: noch mehr Geld aus der Staats­kas­se“ (16). Trotz­dem nahm man die Staats­kne­te, ließ hoch­sub­ven­tio­niert im Aus­land bau­en und schuf so – man­gels ent­spre­chen­der Ver­schrot­tung – wei­te­re Über­ka­pa­zi­tä­ten, die wie­der­um die Fracht­ra­ten drück­ten. Zugleich „bedank­ten“ sich die Ree­de­rei­en für die den sub­ven­tio­nier­ten Neu­bau­ten auf­er­leg­te befris­te­te Flag­gen­pflicht, indem sie aus­flagg­ten, was erlaubt und mög­lich war, ins­be­son­de­re ihre älte­ren Bestandsschiffe.

Nicht nur die Werf­ten beka­men die Fol­gen zu spü­ren, son­dern die gesam­te mari­ti­me Bran­che: „Wäh­rend etwa vor zehn Jah­ren die Exis­tenz von rund 300.000 Men­schen vom Wohl­erge­hen von Schiff­fahrt, Schiff­bau, Fische­rei, Häfen und mit die­sen ver­bun­de­nen Sek­to­ren (wie Zulie­fer­indus­trien, Ban­ken, Spe­di­tio­nen, Bil­dungs­ein­rich­tun­gen) abhän­gig waren, sind es heu­te kaum noch 100.000 Men­schen“, beschrieb die WATERKANT im Som­mer 1987 die aktu­el­le Situa­ti­on (17). Wäh­rend 1970 noch rund 23.500 deut­sche See­leu­te auf Schif­fen unter deut­scher Flag­ge fuh­ren, waren es 1987 nur noch 11.500 – Ten­denz: schnell sinkend.

Welt­weit fuh­ren zu die­sem Zeit­punkt etwa 30-40 Pro­zent der Gesamt­ton­na­ge unter den Bil­lig­flag­gen von Libe­ria, Pana­ma, Zypern und ande­ren. Spit­zen­rei­ter waren die US-Reedereien mit 90 Pro­zent aus­ge­flagg­ter Schiffs­ton­na­ge. Für die BRD wur­den 60 Pro­zent ange­ge­ben. „Die Küs­te stirbt“, hieß es damals immer wie­der und immer lau­ter: Es mach­te sich zwar die Ein­sicht breit, dass Steu­er­erleich­te­run­gen und Zuschüs­se für Betriebs­kos­ten, Lohn­steu­er, Abwrack­ak­tio­nen oder Neu­bau­ten weder eine deut­sche Flot­te unter deut­scher Flag­ge erhal­ten noch Arbeits­plät­ze sichern oder gar schaf­fen könn­ten. Es gab auch ers­te War­nun­gen, dass die­se Ent­wick­lung Fol­gen weit über die Schiff­fahrt hin­aus haben wer­de. Denn mari­ti­me und nau­ti­sche Erfah­run­gen wer­den nicht nur in Häfen, Schiff­fahrts­äm­tern oder Lot­sen­brü­der­schaf­ten benö­tigt, son­dern auch in der damals wie heu­te wach­sen­den Logistik.

Die Kon­se­quenz, die die Poli­tik aus all dem zog, war aber – wen wundert‘s – die grund­le­gend fal­sche: Man sub­ven­tio­nier­te nicht nur die Kos­ten­er­spar­nis auf Kos­ten der Beschäf­tig­ten, son­dern man per­fek­tio­nier­te das Sys­tem. Wenn Ree­de­rei­en Schif­fe aus­flag­gen, um so Personal- und Sozi­al­kos­ten sowie Sicher­heits­auf­wen­dun­gen zu spa­ren, man aber die­se Flag­gen­flucht stop­pen will, ohne die Ree­der zu ver­är­gern – dann schafft man halt ein neu­es Regis­ter! Gera­de eben – 1987 – hat­te Nor­we­gen mit sei­nem „Nor­we­gi­an Inter­na­tio­nal Ship Regis­ter“ (NIS) eines der ers­ten neu­zeit­li­chen „Zweit­re­gis­ter“ geschaf­fen, Däne­mark folg­te mit dem DIS, wobei es gering­fü­gi­ge Unter­schie­de gab, wer dort ein­ge­tra­gen wer­den durf­te und wel­che Vor­tei­le er jeweils erlang­te. Also wur­de in der BRD der Ruf laut nach einem deut­schen Zweit­re­gis­ter – und nur dank erbit­ter­ten Wider­stands (sie­he unten) dau­er­te es zwei Jah­re, bis dar­aus im April 1989 eine gesetz­li­che Rege­lung wur­de. Aller­dings wur­de das deut­sche „Inter­na­tio­na­le Schiffs­re­gis­ter“ (ISR) als Zusatz­re­gis­ter „auf­ge­legt“: Jedes Schiff, das die deut­sche Flag­ge füh­ren soll, muss im Haupt­re­gis­ter (DSR) ein­ge­tra­gen wer­den, die ISR Ein­tra­gung ist dann optio­nal, um etwa arbeits- und steu­er­recht­li­che Son­der­re­ge­lun­gen in Anspruch neh­men zu kön­nen (17, 18).

Zum Ver­ständ­nis: Die oben ange­ge­be­ne aktu­el­le Zahl von der­zeit 354 Schif­fen unter deut­scher Flag­ge (9) bezieht sich auf das DSR – 195 davon sind zusätz­lich im ISR erfasst. Die Inter­na­tio­na­le Transportarbeiter-Föderation (ITF), füh­rend im glo­ba­len Kampf gegen Aus­flag­gung, zählt aber auch das deut­sche ISR zu den Bil­lig­flag­gen (19)! Umge­rech­net bedeu­tet das: 2585 Ein­hei­ten unter Fremd­flag­ge plus 195 ISR-Schiffe – deut­sche Ree­de­rei­en gewäh­ren nur auf 5,4 Pro­zent ihrer Schif­fe den Besat­zun­gen alle Arbeits- und Sozi­al­rech­te nach deut­schen Nor­men. Rech­net man dies auf Ton­na­ge um, gel­ten sogar nur auf 0,48 Pro­zent der Schif­fe deut­scher Ree­de­rei­en auch deut­sche Beschäf­ti­gungs­stan­dards. Wer das als beschä­mend bezeich­net, darf sicher mit viel Bei­fall rech­nen – wenn­gleich nicht von den Reedern.

Zurück in die Ver­gan­gen­heit: Die Schaf­fung des ISR war das Werk einer christlich-liberalen Mehr­heit mit einer zau­dern­den SPD an ihrer Sei­te. Vor­aus­ge­gan­gen waren mas­si­ve – ver­geb­li­che – Pro­tes­te der Gewerk­schaft ÖTV, von See­fahrt­stu­den­ten, die um ihre Aus­bil­dung und Zukunft fürch­te­ten, sowie diver­ser Umwelt­schutz­ver­bän­de, die sich um sin­ken­de Sicher­heits­stan­dards sorg­ten. Auch sag­ten etli­che kri­ti­sche Exper­ten dem ISR vor­aus, es wer­de weder die Aus­flag­gung stop­pen noch zu maß­geb­li­cher Rück­flag­gung bei­tra­gen, weil es in sei­nen Details nicht mit den ech­ten Bil­lig­flag­gen kon­kur­rie­ren kön­ne: „Das zwei­te Schiffs­re­gis­ter gibt … nie­man­dem einen Anlass zur Freu­de“ (20). Es fokus­sie­re fälsch­lich auf die Kos­ten des Schiffs­be­triebs und hier vor allem auf die Per­so­nal­kos­ten – unbe­ach­tet hin­ge­gen blie­ben die Erlös­si­tua­tio­nen, die Pro­duk­ti­vi­tät der deut­schen wie euro­päi­schen Schiff­fahrt oder deren zuneh­mend füh­ren­de Rol­le in der Containerschifffahrt.

Tat­säch­lich hat das ISR nach sei­ner Ein­füh­rung – und, sie­he oben, bis heu­te – kei­nen durch­grei­fen­den Erfolg gehabt. Zwar habe es „zu Beginn … tat­säch­lich das eine oder ande­re Schiff gege­ben, das ‚zurück­ge­holt‘ wur­de – aller­dings waren das Schif­fe, die ohne­hin nur zeit­lich begrenzt unter frem­der Flag­ge fuh­ren und deren Fris­ten gera­de aus­lie­fen, die zurück­ge­holt wer­den muss­ten, um die deut­schen Sub­ven­tio­nen nicht zu ver­lie­ren“, bilan­zier­te der dama­li­ge Schiff­fahrts­se­kre­tär der ÖTV, Jan Kah­mann, im Jah­re 1994: „Der Trend zur Bil­lig­flag­ge ist unge­bro­chen, das Zweit­re­gis­ter hat das nicht gestoppt, son­dern ‚nur‘ dazu bei­getra­gen, dass das sozia­le Kli­ma in der deut­schen See­schiff­fahrt unter deut­scher Flag­ge käl­ter gewor­den, ja, total zer­stört wor­den ist“ (21). Eine sehr spät ein­ge­brach­te Ver­fas­sungs­be­schwer­de (22) der ÖTV und der damals noch kon­kur­rie­ren­den DAG gemein­sam mit den SPD regier­ten Län­dern Bre­men und Schleswig-Holstein (Nor­men­kon­troll­ver­fah­ren) gegen das Zweit­re­gis­ter­ge­setz wur­de übri­gens im Janu­ar 1995 zurück­ge­wie­sen: „Die Ungleich­be­hand­lung ist jedoch durch sach­li­che Grün­de gerecht­fer­tigt“, ent­schie­den die Karls­ru­her Ver­fas­sungs­rich­ter (23).

Das Wort „Ungleich­be­hand­lung“ mein­te zwar die See­leu­te, die so amt­lich zu Opfern der deut­schen Schiff­fahrts­po­li­tik gestem­pelt wur­den. Aber dazu gehö­ren immer zwei Sei­ten: Die Ree­de­rei­en näm­lich durf­ten und dür­fen sich einer anhal­ten­den Ungleich­be­hand­lung erfreu­en – sie genie­ßen mehr Vor­tei­le als die meis­ten ande­ren Bran­chen. Die ein­gangs gelis­te­ten Bestands­zah­len zur deut­schen See­schiff­fahrt eben­so wie Kah­manns Wor­te machen es deut­lich: Die Ein­füh­rung des Zweit­re­gis­ters war den Ree­dern längst nicht genug, sie gaben wei­ter unge­niert die „Heul­bo­je“. Und das mit Erfolg: Zehn Jah­re nach dem ISR-Gesetz ver­stän­dig­ten sich Bun­des­tag und Bun­des­rat auf eine „Neu­ge­stal­tung der deut­schen Schiff­fahrts­po­li­tik“ und schenk­ten den Ree­de­rei­en ein beein­dru­cken­des Paket von Wohl­ta­ten – sie eta­blier­ten die so genann­te „Ton­na­ge­steu­er“, schu­fen eine Vor­teils­re­ge­lung für die Lohn­steu­er und „fle­xi­bi­li­sier­ten“ die Schiffs­be­set­zungs­ver­ord­nung (SchBesV). Zwar muss­ten die Ree­der dafür auf eini­ge ande­re Sub­ven­tio­nen ver­zich­ten, aber unterm Strich fuh­ren sie dabei ein dickes Plus in ihren Büchern ein. Die Bestand­tei­le des Pakets ver­die­nen eine Einzelbetrachtung:

  • Wäh­rend in der deut­schen See­schiff­fahrt vor der Fle­xi­bi­li­sie­rung eine Min­dest­be­sat­zung anhand fes­ter Kri­te­ri­en vor­ge­schrie­ben war, schuf die neue SchBesV nun eine Ein­zel­fall­re­ge­lung, nach der die See-Berufsgenossenschaft auf Vor­schlag der Ree­de­rei die Besat­zungs­stär­ke fest­zu­le­gen hat­te – natür­lich mit dem Ziel, so die Per­so­nal­kos­ten sen­ken zu kön­nen. Außer­dem wur­den die Anfor­de­run­gen an die Staats­an­ge­hö­rig­keit neu defi­niert (24): Wäh­rend zuvor fünf bis sie­ben See­leu­te an Bord Deut­sche zu sein hat­ten, genüg­ten künf­tig nur ein bis drei See­leu­te deut­scher oder einer (gerin­ger bezahl­ten) EU Nationalität.
  • See­leu­ten auf Schif­fen unter deut­scher Flag­ge wer­den unab­hän­gig von ihrer Natio­na­li­tät von ihrer Heu­er sowohl Sozi­al­ab­ga­ben als auch Lohn­steu­er in vol­ler gesetz­li­cher Höhe abge­zo­gen. Die Lohn­steu­er aller­dings fließt nur zu 60 Pro­zent in die Staats­kas­se, 40 Pro­zent darf der Ree­der behal­ten – als „Aus­gleich“, weil auf sei­nem Schiff unter Schwarz­rot­gold höhe­re Sozi­al­ab­ga­ben fäl­lig wer­den als auf Schif­fen unter ande­ren Flag­gen. Die See­leu­te müs­sen min­des­tens 183 Tage unun­ter­bro­chen beschäf­tigt sein, damit der Ree­der ein­be­hal­ten darf (25). Der Bun­des­rech­nungs­hof hat die­se Rege­lung 2007 „für ver­fehlt und über­dies für ver­fas­sungs­recht­lich bedenk­lich“ erklärt, denn die mit ihr ver­folg­ten Zie­le wür­den nicht erreicht, „da das deut­sche Schiffs­per­so­nal auf Schif­fen unter deut­scher Flag­ge nach dem Inkraft­tre­ten der Rege­lung wei­ter abnahm“ (26). Das aber blieb nicht nur fol­gen­los, son­dern wird gera­de noch poten­ziert: Auf inten­si­ves Drän­geln der Ree­der hat gera­de eine Geset­zes­in­itia­ti­ve des Lan­des Ham­burg zur Anhe­bung des Lohn­steu­er­ein­be­halts auf vol­le 100 Pro­zent den Bun­des­rat pas­siert und soll als­bald auch Bun­des­tag beschlos­sen wer­den – nach wie vor ohne jede Bin­dung an einen Stel­len­er­halt! Zugleich wur­de die Lohn­steu­er der deut­schen See­leu­te sogar noch ange­ho­ben, da sie künf­tig den Pos­ten „Ver­pfle­gungs­geld“ mit­ver­steu­ern müs­sen und kei­ne dop­pel­te Haus­halts­füh­rung mehr anwen­den dür­fen: Noch mehr Geld statt für den Fis­kus direkt in die Taschen der Arbeitgeber.
  • Als Krö­nung der Subventions-Phantasie indes darf die „Ton­na­ge­steu­er“ gel­ten: Sie ersetzt die nor­ma­le Gewinn­ver­steue­rung, der alle Unter­neh­men unter­wor­fen sind, durch ein von der „Net­to­raum­zahl“ (NRZ) und den Betriebs­ta­gen abhän­gi­ges Sys­tem klei­ner Pau­schal­be­trä­ge, aus deren Sum­me ein völ­lig fik­ti­ver steu­er­pflich­ti­ger „Gewinn“ ermit­telt wird. Aus­drück­lich ist das Füh­ren der deut­schen Flag­ge kei­ne Vor­aus­set­zung für die Gewinn­ermitt­lung nach der Ton­na­ge­steu­er! Damit aber auch die­ses Sys­tem die not­lei­den­den Ree­der nicht über­for­dert, wer­den gro­ße Schif­fe (mehr als NRZ 25.000) mit einem Pausch­be­trag von 0,23 Euro pro 100 Net­to­ton­nen und Tag als steu­er­pflich­ti­gem „Gewinn“ deut­lich güns­ti­ger ein­ge­stuft als klei­ne Schif­fe (bis zu NRZ 1000), die mit 0,92 Euro vier­mal so viel „Gewinn“ ver­steu­ern müs­sen. Eine Zahl aus jüngs­ter Ver­gan­gen­heit ver­deut­licht die Dimen­sio­nen die­ses För­der­instru­ments: Nach Berech­nun­gen der Grünen-Bundestagsabgeordneten Vale­rie Wilms belief sich die Schiff­fahrts­för­de­rung per Ton­na­ge­steu­er im Zeit­raum 2004 2011 auf rund fünf Mil­li­ar­den Euro (27).

Die Ton­na­ge­steu­er bevor­zugt übri­gens nicht nur Ree­de­rei­en, son­dern hat auch den Markt der Schiffs­fi­nan­zie­rung ange­heizt: Fonds und Ban­ken (sie­he oben) war­ben bei gro­ßen wie klei­nen Anle­gern und ver­kauf­ten ihnen Antei­le an Schiffsfinanzierungs-Gesellschaften. Längst sind sol­che Kon­glo­me­ra­te Eigen­tü­mer vie­ler, wenn nicht der meis­ten Schif­fe („Zahn­walt­schif­fe“, weil Ein­kom­mens­grup­pen wie Zahn­ärz­te oder Rechts­an­wäl­te hier maß­geb­lich ihre Steuer-„Last“ redu­zie­ren), die dann von tra­di­tio­nel­len Ree­de­rei­en nur noch gema­nagt wer­den. Anfangs war es die­sen Inves­to­ren gestat­tet, bei Ein­stieg in einen Schiffs­fonds zunächst ihre Anfangs­ver­lus­te steu­er­min­dernd gel­tend zu machen und spä­ter zur Ton­na­ge­steu­er zu wech­seln. Bör­sia­ner lob­ten unver­hoh­len: „Bei die­ser Wert­ermitt­lung wer­den die anfal­len­den Erträ­ge nahe­zu steu­er­frei gestellt“ (28). Aller­dings ist die­ses Über­gangs­mo­dell 2007 aus­ge­lau­fen, seit­her muss jeder Anle­ger zwi­schen Ver­lust­ab­schrei­bung und Ton­na­ge­steu­er wäh­len. Unstrit­tig ist aber, dass die­ses Sys­tem mit mas­si­ven Über­ka­pa­zi­tä­ten, nach­fol­gen­dem Raten­ver­fall, mit Falsch­be­ra­tun­gen, getäusch­ten Hoff­nun­gen und nicht zuletzt der Kri­se von 2008 zur völ­li­gen Über­hei­zung geführt hat. Vor allem klei­ne­re Anle­ger zahl­ten drauf und gin­gen kaputt. Etli­che Ban­ken stie­gen aus der Schiffs­fi­nan­zie­rung völ­lig aus, was der Bran­che heu­te ernst­haf­te Pro­ble­me berei­tet; letzt­lich wur­den Gel­der „ver­brannt“ (auf Kos­ten der Steu­er­zah­ler) und der Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zess befördert.

Noch­mals: Die­se Neu­or­ga­ni­sa­ti­on einer mas­si­ven Bran­chen­sub­ven­tio­nie­rung war (und ist) kein deut­scher Allein­gang! Viel­mehr han­del­te es sich um Maß­nah­men auf Grund von Emp­feh­lun­gen der EU, die aller­dings in ein­zel­nen Mit­glieds­staa­ten in unter­schied­li­cher Wei­se umge­setzt wur­den (und wer­den). Nach­weis­lich woll­te die Bun­des­po­li­tik damit den Ree­dern eine „Alter­na­ti­ve zur nor­ma­len Unter­neh­mens­be­steue­rung“ bie­ten, denn „das spa­re Mil­lio­nen, sol­le die deut­sche Flag­ge ver­stärkt schmack­haft machen und so den Trend zur Aus­flag­gung stop­pen“ (24).

Von die­sen heh­ren Vor­sät­zen ist zwar nur der ers­te Teil umge­setzt wor­den, denn die Aus­flag­gung ging wei­ter. Weil sie aber zugleich von wei­te­ren „Heulbojen“-Arien der Schiff­fahrts­bran­che beglei­tet war, eta­blier­te der frisch gekür­te Bun­des­kanz­ler Ger­hard Schrö­der das Instru­ment der „Natio­na­len Mari­ti­men Kon­fe­ren­zen“ (NMK) – eine regel­mä­ßi­ge Ver­samm­lung von Ree­dern, Schiff­bau­ern, Gewerk­schaf­ten und ande­ren der mari­ti­men Wirt­schaft nahen Bran­chen und Ein­rich­tun­gen unter Lei­tung eines „Mari­ti­men Koor­di­na­tors“. Die ers­te NMK fand im Juni 2000 in Emden statt, die 9. NMK hat Mit­te Okto­ber die­ses Jah­res in Bre­mer­ha­ven getagt (29).

Zu den eben­so her­aus­ra­gen­den wie umstrit­te­nen Errun­gen­schaf­ten der NMK zählt das 2003 zur 3. NMK in Lübeck geschaf­fe­ne „Bünd­nis für Aus­bil­dung und Beschäf­ti­gung in der See­schiff­fahrt“, bekannt gewor­den als „Mari­ti­mes Bünd­nis“. Es basiert auf einer gemein­sa­men Erklä­rung der Bun­des­re­gie­rung, der Wirtschafts-, Verkehrs- und Kul­tus­mi­nis­ter der nord­deut­schen Küs­ten­län­der, der Gewerk­schaft ver.di und des VDR. Dar­in ver­spre­chen die Ree­der zwar, ver­stärkt aus­ge­flagg­te Schif­fe zurück- bezie­hungs­wei­se neue unter Schwarz­rot­gold ein­zu­flag­gen: „Bis zum Jah­res­en­de 2010 soll­ten 600 Han­dels­schif­fe unter deut­scher Flag­ge fah­ren“, schrieb jedoch die See-Berufsgenossenschaft Anfang 2011 vor der 7. NMK und bilan­zier­te (30) nüch­tern: „Der­zeit sind es aller­dings nur rund 450“ – und vier­ein­halb Jah­re spä­ter, sie­he oben, mit 354 noch­mals deut­lich weniger.

Im Gegen­zug gewährt der Bund den Ree­de­rei­en neben der Ton­na­ge­steu­er und dem (noch) par­ti­el­len Lohn­steu­er­ein­be­halt zusätz­li­che För­der­ele­men­te. Vor jeder NMK ent­wi­ckelt sich mitt­ler­wei­le ein regel­rech­ter Ver­laut­ba­rungs­zir­kus: Die Gewerk­schaft ver.di mahnt die Ree­der laut­hals, ihren Teil des Bünd­nis­ses – die Rück­flag­gung – zu erfül­len; die Poli­tik ver­steigt sich in wech­seln­den Ton­la­gen (und -schär­fen) zu Dro­hun­gen, bei anhal­ten­der Nicht­er­fül­lung die Ton­na­ge­steu­er und ande­re Wohl­ta­ten ein­zu­schrän­ken oder ein­zu­stel­len; aber nach jeder NMK bleibt nicht nur alle För­de­rung erhal­ten, son­dern wird aus­ge­baut, denn es gilt ja, die mari­ti­me Wirt­schaft im Lan­de zu erhal­ten. Zwar kur­sier­te vor der 9. NMK das Gerücht, dass ver.di aus dem Mari­ti­men Bünd­nis aus­stei­gen wol­le, wenn es nicht end­lich gelin­ge, Sub­ven­tio­nen an Rück­flag­gung zu bin­den – aber zwei Wochen vor der Tagung scheint es, als wür­de es ein Gerücht bleiben.

Zu den wei­te­ren För­de­run­gen im Rah­men des Bünd­nis­ses zähl­ten bei­spiels­wei­se eine Rege­lung über Lohn­kos­ten­zu­schüs­se sowie Aus­bil­dungs­bei­hil­fen (25):

  • Für See­leu­te mit Päs­sen der BRD, eines EU-Staates, Liech­ten­steins, Islands oder Nor­we­gens zahlt der Bund den Ree­dern Zuschüs­se zur Sen­kung der Lohn­ne­ben­kos­ten, sofern der betref­fen­de See­mann auf einem Schiff unter deut­scher Flag­ge im inter­na­tio­na­len See­ver­kehr beschäf­tigt ist. Wei­te­re Vor­aus­set­zung ist, dass der bezu­schuss­te Ree­der in Deutsch­land Lohn­steu­ern und Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge in jeweils vor­ge­schrie­be­ner Höhe ein­zieht und abführt. Je nach Funk­ti­on an Bord gibt es unter­schied­lich hohe Zuschüs­se, bei Füh­rungs­kräf­ten wird auch noch nach Schiffs­grö­ße gestaf­felt. Aktu­ell erhält ein Ree­der etwa für einen Kapi­tän auf einem gro­ßen Schiff mit mehr als 3000 BRZ einen jähr­li­chen Lohnnebenkosten-Zuschuss in Höhe von 16.700 Euro; für einen ein­fa­chen See­mann unab­hän­gig von der Schiffs­grö­ße 9400 Euro.
  • Ree­der, die auf einem Schiff unter deut­scher Flag­ge im inter­na­tio­na­len See­ver­kehr Nach­wuchs aus­bil­den, erhal­ten vom Bund pro Aus­bil­dungs­platz (unab­hän­gig von der Aus­bil­dungs­dau­er) einen ein­ma­li­gen Zuschuss zwi­schen 12.750 Euro (für nau­ti­sche Offi­zier­sas­sis­ten­ten) und 25.500 Euro (für Schiffsmechaniker).
  • Gera­de­zu skur­ril indes ist ein wei­te­res Ele­ment der Aus­bil­dungs­för­de­rung: Seit 2012 schießt der VDR sei­nen Mit­glie­dern jeweils wei­te­re 10.000 Euro pro Aus­bil­dungs­platz zu. Der Ver­band hat für die­sen Zweck – gemein­sam mit ver.di „als Sozi­al­part­ner und Mit­stif­ter“ – eigens „die Stif­tung Schiff­fahrts­stand­ort Deutsch­land gegrün­det, um die Aus­bil­dung, Qua­li­fi­zie­rung und Fort­bil­dung von Besat­zungs­mit­glie­dern, die auf in deut­schen See­schiffs­re­gis­tern ein­ge­tra­ge­nen Schif­fen beschäf­tigt sind, dau­er­haft zu sichern“ (31). Die­se Stif­tung finan­ziert sich zum einen aus sehr spe­zi­el­len VDR-Mitteln, näm­lich jenen Gel­dern, die „jede deut­sche Ree­de­rei, die ein Schiff zeit­wei­se unter einer ande­ren Flag­ge fah­ren lässt und nicht dar­auf aus­bil­det“, als „Ablö­se­be­trag“ zu ent­rich­ten hat; 2013 waren das bei­spiels­wei­se rund 20 Mil­lio­nen Euro. Hin­zu kamen zum ande­ren wei­te­re zehn Mil­lio­nen „aus erhöh­ten Aus­flag­gungs­ge­büh­ren, die für die Schiff­fahrts­för­de­rung des Bun­des ver­wen­det wer­den sol­len“ (31). – Letzt­lich han­delt es sich also auch hier nicht um Geschen­ke der Ree­der, son­dern um Gel­der, die der Bund gibt bezie­hungs­wei­se auf die er ver­zich­tet. Und letzt­lich kön­nen Ree­der so auch die letz­ten Schiffs­me­cha­ni­ker als Fach­ar­bei­ter an Bord völ­lig legal und voll bezahlt von der Kon­kur­renz durch Azu­bis ersetzen.

Aber es ist noch nicht genug: Seit Anfang 2015 hat der VDR mit Alfred Hart­mann aus dem ost­frie­si­schen Leer einen neu­en Vor­sit­zen­den. „Die deut­sche Flag­ge ist eine sehr gute Flag­ge, die im Aus­land eine außer­or­dent­lich hohe Repu­ta­ti­on genießt“, sag­te Hart­mann bei Amts­an­tritt (32). Wer das aller­dings als Rückflaggungs-Appell an sei­ne Kol­le­gen inter­pre­tiert, liegt schief: Denn nach eige­nen Anga­ben ver­fügt die Ree­de­rei über eine Flot­te von 66 Schif­fen – 35 Gas­tan­ker, 22 Con­tai­ner­schif­fe, neun Mehrzweck- und Bulk­frach­ter –, von denen gan­ze zwei Gas­tan­ker unter deut­scher Flag­ge fah­ren, wäh­rend 56 ande­re Schif­fe, dar­un­ter alle Con­tai­ner­car­ri­er, die nach Anga­ben der ITF beson­ders berüch­tig­te Bil­lig­flag­ge Libe­ri­as füh­ren (33). Hart­mann hat denn auch die ulti­ma­ti­ve Idee, was zu tun ist, um die deut­sche Flag­ge „im euro­päi­schen Ver­gleich kon­kur­renz­fä­hig zu machen“: Die Bun­des­re­gie­rung müs­se den von der EU gesetz­ten Rah­men aus­nut­zen und die Bran­che unter ande­rem von natio­na­len Vor­schrif­ten ent­las­ten – etwa durch die folg­sam in Umset­zung befind­li­che Neu­re­ge­lung zum Lohn­steu­er­ein­be­halt. Hart­mann bekennt trotz­dem völ­lig offen, dass nie­mand auch nur im Ent­fern­tes­ten an Rück­flag­gung denkt: „Deut­sche Schif­fe müs­sen auch in Ost­asi­en kon­kur­renz­fä­hig sein – drei Vier­tel der welt­wei­ten Han­dels­flot­te sind nicht im Land ihrer Eig­ner geflaggt. Die frem­de Flag­ge ist ein völ­lig nor­ma­ler Zustand“ (32).

Ein gewerk­schaft­lich akti­ver See­mann kom­men­tier­te das jüngst im Gespräch mit dem Autor mit den Wor­ten: „Im Prin­zip stellt der VDR mit sei­ner Dreis­tig­keit sogar gestan­de­ne Ener­gie­ver­sor­ger in den Schat­ten.“ Man darf gespannt sein, was den Ree­dern (und ande­ren) zur dies­jäh­ri­gen NMK noch alles an For­de­run­gen ein­fällt – eine wei­te­re Auf­wei­chung der SchBesV gehört gewiss dazu. Sicher ist auch, dass der VDR die Aus­flag­gung beharr­lich als Tot­schlag­ar­gu­ment für jede Tarif­run­de miss­braucht: Null­run­den, nicht zur Ver­hand­lung erschei­nen, ande­re Ter­mi­ne plat­zen las­sen – im Prin­zip ist die immer wei­ter schrump­fen­de Zahl deut­scher See­leu­te seit 1989 von der bun­des­wei­ten Tarif­ent­wick­lung abge­kop­pelt. Zu die­ser Ten­denz pas­sen ins­be­son­de­re zu den Tarif­run­den regel­mä­ßig auf­tau­chen­de Berich­te über die Ent­wick­lung kom­plett satel­li­ten­ge­steu­er­ter, unbe­mann­ter Han­dels­schif­fe – die Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät Hamburg-Harburg kas­siert dafür aktu­ell gera­de knapp drei Mil­lio­nen Euro EU-Förderung. „Die Ergeb­nis­se“, so heißt es gera­de­zu zynisch, wür­den „als Bei­trag zur Nach­hal­tig­keit der euro­päi­schen Schiff­fahrt unter wirt­schaft­li­chen, ope­ra­ti­ven, öko­lo­gi­schen, sozia­len und Sicher­heits­aspek­ten gese­hen“ (34). Per­vers, oder?

Es wür­de den Rah­men eines Bei­trags über die Ent­wick­lung der Schifffahrts-Subventionitis spren­gen, hier noch wei­te­re Details zur Ausbildungs- und Beschäf­ti­gungs­si­tua­ti­on deut­scher wie auch auf deut­schen Schif­fen beschäf­tig­ter aus­län­di­scher See­leu­te dar­zu­stel­len. Es soll aber nach­drück­lich betont wer­den, dass der Ver­zicht dar­auf nicht miss­ver­stan­den wer­den darf als Schön­fär­be­rei: „See­mann, Dei­ne Hei­mat ist das Meer“ – das mag für betuch­te Hob­by­skip­per und Yacht-Milliardäre gel­ten, die sich dau­er­haft ent­spre­chen­den Luxus leis­ten kön­nen. Die täg­li­che Erfah­rung der See­leu­te ist jedoch geprägt ist von Stress, Het­ze, mie­sen Arbeits­be­din­gun­gen, schlech­ter Bezah­lung, von Dreck, Lebens­ge­fahr und mise­ra­blen Zukunfts­aus­sich­ten. Jeder wei­te­re Euro der öffent­li­chen Hand zum Vor­teil eini­ger weni­ger „Heul­bo­jen“ wird da zum Stein, der, um den Hals gehängt, das eige­ne Absau­fen begünstigt.

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bit­te © Copy­right beach­ten, dan­ke: kei­ne Ver­wen­dung ohne Zustim­mung des Autors, Burk­hard Ilsch­ner, sowie der Zeit­schrift BIG Busi­ness Crime!

Die­ser Text ent­stand Anfang Okto­ber 2015, bit­te bei ver­wen­de­ten Daten berücksichtigen.

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Anmer­kun­gen:
* Der Autor ist ver­ant­wort­li­cher Redak­teur der Zeit­schrift WATERKANT.

1. Der ers­te Teil die­ser Serie zu Schiff­bau und Werf­ten erschien in Aus­ga­be 2 / 2015 die­ser Zeit­schrift (Sei­te 13‑17). Wei­te­re Fol­gen sind geplant, Nähe­res sie­he dort.

2. Der Begriff „Ree­der“ wird hier meist umgangs­sprach­lich benutzt: Ree­der als Indi­vi­du­en, die Schif­fe besit­zen und betrei­ben, gibt es nur noch als sel­te­ne Aus­nah­men. Schif­fe wer­den betrie­ben von Reederei-Konzernen (meist als AG), die von Mana­gern geführt wer­den. Und: Ree­de­rei­en sind immer sel­te­ner auch Eigen­tü­mer – häu­fig char­tern sie Schif­fe von Fonds, Ban­ken oder Anle­ger­ge­sell­schaf­ten („Zahnwalt-Schiffe“), denen sie gehö­ren. Oft sind es auch Fach­ab­tei­lun­gen gro­ßer Kon­zer­ne, die als „Ree­der“ fun­gie­ren (etwa für Tan­ker von Ölmultis).

3. Es geht in die­ser Serie um Sub­ven­tio­nen und Begüns­ti­gun­gen wirt­schaft­li­chen Han­delns, die durch effek­ti­ve poli­ti­sche Ver­net­zung jeweils legal abge­si­chert wur­den – nicht um Kor­rup­ti­on im straf­recht­li­chen Sin­ne: Die Gren­zen zwi­schen dem einen und dem ande­ren Aspekt zu bewer­ten, sei der kri­ti­schen Phan­ta­sie der Leser überlassen…

4. „Han­dels­flot­te“ meint alle gewerb­lich genutz­ten Schif­fe ohne Fische­rei­fahr­zeu­ge; das The­ma Fische­rei wird ggf. geson­dert dargestellt.

5. BIG Busi­ness Crime, 23. Jg., 2015, Heft 2, Sei­te 8

6. Die Zah­len stam­men aus Sta­tis­ti­ken des Ver­bands Deut­scher Ree­der (VDR), kön­nen hier aber nicht sinn­voll ver­linkt wer­den, weil der Ver­band auf sei­ner Web­sei­te Zah­len unter­schied­li­cher Quel­len und Bezugs­grö­ßen neben­ein­an­der prä­sen­tiert, was für Lai­en ver­wir­rend ist.

7. Mit der dimen­si­ons­lo­sen „Brut­to­raum­zahl“ (BRZ) wird die Grö­ße eines Schif­fes bezif­fert. Die BRZ ist, ver­ein­facht aus­ge­drückt, ein rech­ne­ri­scher Wert aus dem in Kubik­me­ter gemes­se­nen Inhalt aller geschlos­se­nen Räu­me, mul­ti­pli­ziert mit einem eben­falls grö­ßen­ab­hän­gi­gen log­arith­mi­schen Wert zwi­schen 0,22 und 0,32. – Die Net­to­raum­zahl (NRZ) wird auf ähn­li­che Wei­se errech­net, bezieht aber nur das Volu­men der Lade­räu­me, den Tief­gang und die Bord­hö­he ein.

8. lt. UNCTAD: http://kurzlink.de/um05PcSTk

9. http://www.bsh.de/de/Schifffahrt/Berufsschifffahrt/Deutsche_Handelsflotte/index.jsp

10. DER SPIEGEL, Heft 51/1961, Sei­te 40 ff. – hier und nach­fol­gend ist bei Zita­ten die Recht­schrei­bung an heu­ti­ge Gepflo­gen­hei­ten ange­passt worden!

11. soweit nicht anders ver­merkt, beschränkt sich die fol­gen­de Betrach­tung bis 1990 auf die BRD-Verhältnisse.

12. DER SPIEGEL, Heft 30/1956, Sei­te 29 f.

13. http://kurzlink.de/mm_120711

14. DER SPIEGEL, Heft 47/1975, Sei­te 60 f.

15. DIE ZEIT, Nr. 19 vom 6. Mai 1977, Sei­te 25.

16. DIE ZEIT, Nr. 35 vom 25. August 1978, Sei­te 15 f.

17. WATERKANT, Jg. 2, Heft 4 (Juli/August 1987), Sei­te 11 ff.

18. Wah­len, Olaf: Diplom­ar­beit „Schiffs­re­gis­ter“; http://kurzlink.de/Jx3atDiEA

19. ITF-Billigflaggen-Kampagne: http://kurzlink.de/e2xX9IpC5

20. WATERKANT, Jg. 4, Heft 1-2 (April 1989), Sei­te 23 f.

21. „Bre­mer Nach­rich­ten“ vom 25. Okto­ber 1994

22. „Bre­mer Nach­rich­ten“ vom 12. Juli 1987

23. http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv092026.html

24. „Bre­mer Nach­rich­ten“ vom 30. März 1998

25. WATERKANT, Jg. 28, Heft 2 (Juni 2013), Sei­te 27

26. http://kurzlink.de/F6agoZazf – Bun­des­rech­nungs­hof, Jah­res­be­richt 2007, Zif­fer 48, Sei­te 212 f.

27. http://kurzlink.de/DHCNNvLoK – Vale­rie Wilms (MdB): Rede vor der Han­dels­kam­mer Hamburg

28. „mana­ger maga­zin“ vom 14. Juni 2004; http://kurzlink.de/jyQVja328

29. http://kurzlink.de/xYvANcKwu – NMK-Webseite mit voll­stän­di­ger Kongress-Dokumentation

30. http://kurzlink.de/fzWIBOJOm – BG Trans­port und Ver­kehr, „Sicherheits-Profi“, Heft 1/2011, Sei­te 29.
31. Mari­ne­kom­man­do, Fak­ten und Zah­len zur mari­ti­men Abhän­gig­keit der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land – Jah­res­be­richt 2014, Sei­te 15.

32. „Deut­sche See­schiff­fahrt“, Heft 1-2/2015, Sei­te 18 ff.

33. https://waterkant.info/?p=3593

34. „Nordsee-Zeitung“ vom 11. Juli 2015, Sei­te 36