Häfen-Investitionen: „Unwirksam und nicht nachhaltig“
Von Burkhard Ilschner*
TTIP, Lateinamerika, Südafrika, Bangladesch, Euro-Krise, FIFA, Ukraine, Waffenhandel, Drogengeschäfte, Sozialabbau, Überwachungsstaat, Giftgas oder Organhandel – nahezu jedes Thema dieser Zeitschrift ist irgendwie verknüpft mit oder abhängig von dem so genannten maritimen Sektor. BIG stellt diese ebenso vielfältige wie subventionshungrige Branche in einer losen Artikel-Serie vor (1). In dieser Folge geht es um die Seehäfen und ihre teure Konkurrenz untereinander.[Vorspann aus der Zeitschrift BIG Business Crime, ISSN 1861-6526, 4/2016, S. 17]
„Ein Schiff wird kommen…“ – Schlager vergangener Zeiten haben die Häfen (allzu) häufig als Begegnungs-, Abschieds- und Wiedersehens-Punkte besungen. Aber diese so genannte Seefahrts-Romantik, wenn es sie denn je wirklich gegeben hat, ist längst Vergangenheit: Schifffahrt und Hafenarbeit waren Knochenjobs und sind es überwiegend bis heute, gepaart mit vielen persönlichen Entbehrungen. Und wann immer Letztere die Betroffenen dazu gebracht haben mögen, auch mal „über die Stränge“ zu schlagen – spätestens seit Ende der 1970er Jahre ist jene Ära vorbei, in der Schiffe von großer Fahrt kamen, die Seeleute „die Taschen … voller Geld“ (2) hatten und, nach langen Wochen an Bord, rund um den Hafen Abwechslung suchten. Liegezeiten auch großer Schiffe bemessen sich heute oft nur nach Stunden, selten nach wenigen Tagen. Die Zeittaktung lässt den Seeleuten kaum mehr Gelegenheit für vergnügliche oder erholsame Landgänge.
Stauen (Beladen) und Löschen (Entladen) der Schiffe war früher überwiegend Handarbeit, allenfalls unterstützt von ein paar Kränen. Es war ein Job für Spezialisten – je nach Waren- und / oder Verpackungs-Art: Für Säcke waren andere Regeln zu beachten und Handgriffe zu beherrschen als für Kisten oder Fässer. Mit dem Container als Transportbehälter für unterschiedlichste Stückgüter änderte sich das. Im Frühjahr dieses Jahres jährte sich die Ankunft der ersten Blechbox in einem deutschen Hafen (Bremen) zum 50. Male (3). Zunächst setzte sich der Universalbehälter nur langsam durch, bis die mit der so genannten Globalisierung einhergehende weltweite Arbeitsteilung seinen Siegeszug besiegelte.
Obwohl der Container nicht nur die Schifffahrt und die Hafenarbeit, sondern die gesamte Logistikkette radikal verändert hat – das allerdings ist ein anderes Thema –, setzt die Arbeit an den Kajen und in den Häfen nach wie vor gute Ausbildung sowie teilweise hohe, wenngleich inzwischen krass veränderte Qualifikationen voraus. Nicht nur im Zuge der Automatisierung gerade im Containerumschlag haben sich die Berufsbilder hier ebenso wie in anderen Bereichen radikal gewandelt – und die Arbeitsbedingungen wurden drastisch verschärft (4).
Aber in diesem Beitrag soll es weder um Hafenarbeit gehen noch um die strukturell prägende Rolle von Häfen für küstennahe Regionen oder Stadtteile. Klar ist: Ohne Häfen wäre Schifffahrt in gleich welcher Form undenkbar, denn schließlich muss es Orte geben, wo Ladung verschiedener Versender gesammelt und an Bord geschafft – oder umgekehrt von Bord geholt und in der Region oder darüber hinaus verteilt wird. Häfen sind heute moderne Logistikzentren, in denen Mensch und Maschine zu funktionieren haben.
In Deutschland werden Häfen von der öffentlichen Hand gebaut, also auch finanziert.
Während für die Wasserwege die Wasser- und Schifffahrtsstraßenverwaltung des Bundes zuständig ist (5), sind die Häfen als Infrastrukturobjekte Eigentum der jeweiligen Kommunen und/oder Bundesländer; dies gilt auch für die Anbindung an Straße oder Schiene. Kräne, Schuppen und andere landseitige Einrichtungen, die gesamte so genannte Suprastruktur, können in öffentlicher oder privater Hand sein. Das betrifft sowohl den Bau als auch Betrieb und Unterhalt – allerdings fließen hier, selbst wenn es sich um private Betreiber handelt, immer wieder auch öffentliche Gelder, weil ja der jeweilige Hafen so wichtig ist: Es ist kein Hafen bekannt, in dem Private kostendeckende Pacht zahlen – meist obliegt der Betrieb ohnehin einer Hafengesellschaft, die ganz oder mindestens überwiegend in öffentlicher Hand ist.
Häfen sind übrigens auch Sperrzonen für die Öffentlichkeit geworden: Während es früher nahezu jedem weitgehend problemlos möglich war, in die Hafenareale zu spazieren oder sie zu durchqueren und sich ein Bild von dem hektischen Treiben zu machen, sind die Häfen heute komplett abgeschottet. Das begann langsam schon vor Jahrzehnten und ist seit 2006 unter dem zur „Terrorismusabwehr“ geschaffenen „International Ship and Port Facility Security Code“ (ISPS) systematisch und flächendeckend umgesetzt worden – zum Nachteil nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der einkommenden Seeleute (6). Niemand kann heute noch ein Hafenareal betreten, ohne sich zuvor einer Überprüfung seiner Personendaten unterzogen und eine unmittelbare Notwendigkeit des Zugangs nachgewiesen zu haben.
Das Hafengeschehen ist somit ein beträchtliches Stück unkontrollierbarer geworden; böse Zungen behaupten sarkastisch, dies sei – Terror hin oder her – durchaus im Sinne der Hafenbetreiber und der Reeder: Thema dieses Beitrags ist vor allem die Finanzierung der Entwicklung, des Baus und des Betriebs solcher Häfen. Denn wie in anderen Bereichen der maritimen Wirtschaft sind es auch hier Subventionen, steuerliche „Erleichterungen“ und öffentliche Fördergelder, die seit Jahrzehnten in den Ausbau bestehender oder den Aufbau neuer Hafenanlagen fließen – samt allem, was deren Funktionsfähigkeit bestimmt (7). Viele Milliarden Euro Steuergelder werden hinein gepumpt – man kann auch sagen: verschleudert. Die offizielle Argumentation behauptet immer wieder, Bau, Unterhalt und Betrieb von Häfen als (siehe oben) notwendigen Schnittstellen zur versorgenden Schifffahrt lägen „im öffentlichen Interesse“. Tatsächlich aber wird hier eine Infrastruktur vorgehalten zum fast ausschließlichen profitablen Nutzen einer Branche: Nicht nur Pachten privater Betreiber, auch Hafen- und Nutzungsgebühren, die die Schifffahrt zu entrichten hat, liegen weit niedriger als eine Kostendeckung es erfordern würde.
Es ist vor allem die Verfilzung von öffentlichen und privaten Interessen und Zuständigkeiten, die das Hafengeschäft für Laien schwer bis nicht durchschaubar macht. Selbstverständlich bedeutet ein Seehafen für eine Kommune eine Schnittstelle zu mindestens überregionalen, meist aber globalen Wirtschaftsstrukturen. Und es ist unstrittig, dass derartige Vernetzung durchaus Vorteile für die lokale und regionale Entwicklung mit sich bringen kann – Gewerbe- und Industrieansiedlung, Verarbeitung und Distribution, Ver- und Entsorgung schaffen Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze.
Sicher ist jedoch auch: Ohne die Verbindungen, die hiesige Häfen mit anderen Standorten irgendwo auf der Welt ermöglichen, wäre die so genannte Globalisierung nie möglich gewesen. Ausbeutung in den Ländern der Dritten Welt zugunsten hiesiger Wirtschaftszentren wäre ohne die öffentlich hoch subventionierten Sammel- und Verteilzentren rund um die Häfen nicht annähernd so lukrativ. Kein Reeder, der neben würdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord umwelt- und sozialverträglich gebauter und betriebener Schiffe – gäbe es dies alles denn – auch noch kostendeckende Gebühren für Nutzung von Wasserwegen und Häfen bezahlen müsste, würde sich beteiligen an einem logistischen Zirkus, wie das berühmte Beispiel des T-Shirts es beschreibt, das von der Faser bis zur Vermarktung einige zigtausend Kilometer über den Globus Zickzack fährt (8).
Hier und jetzt soll geht es nicht die Rede um ökologische Faktoren wie den Flächenfraß etwa der Container- oder Kraftfahrzeug-Stauerei; auch die Luftbelastung durch Schiffsabgase gehört an anderer Stelle problematisiert. Wenn jedoch ein überwiegend öffentlich finanzierter Hafen durch seine vernetzende Wirkung einzelnen Branchen oder Unternehmen massive Vorteile bringt, während die Risiken prinzipiell der öffentlichen Hand überlassen bleiben, liegt es im Kern des herrschenden Wirtschaftssystems, dass die Gier nach Mehr alle Skrupel aushebelt. Und das meint nicht nur die Gier der beteiligten Wirtschaft – es meint auch das hemmungslose Verhalten öffentlicher Institutionen wie Politik und Verwaltung, deren Vertreter bis heute für keine Folgen ihres Tuns fühlbar haften.
Wenn etwa der eigene Hafen stark ist im Massengüterumschlag, der Hafen nebenan aber durch Containerumschlag stärker profitiert, wird hier sogleich nach Ausbau des eigenen Hafens für Abfertigung beider Güterarten gerufen. Wenn der Hafen nebenan sich besser platziert, weil er größere Schiffe abfertigen kann, wird hier der Ausbau des eigenen Hafens und meist auch der Wasserwege gefordert – geschehe dies nicht, so das Geschrei, drohe der Untergang im regionalen Wettbewerb. Es ist der gegebenen Struktur mit Häfen im vorwiegend kommunalen Eigentum geschuldet, dass diese Argumentation ungebrochen funktioniert.
Ungeachtet allen – pardon! – politischen Geschwafels von Verständigung auf regionaler, bilateraler oder europäischer Ebene kommt im Denken und Handeln der meisten Kommunen, ihrer Repräsentanten und Verwaltungen eines nicht vor: die Option einer mehr oder weniger großräumigen Zusammenarbeit. Hafenpolitik in Deutschland und – mindestens überwiegend – in Europa ist geprägt von manchmal geradezu mittelalterlich anmutender „Bürgermeister-Konkurrenz“. Ungeachtet aller Probleme öffentlicher Haushalte und strukturellen Entwicklungen, ungeachtet aller Wirtschaftskrisen oder ökologischen Risiken – trotz jahrzehntelanger Warnungen herrscht noch immer ein oft kleinlicher, aber gnadenloser Wettbewerb einzelner Standorte. Das gilt für unmittelbare Nachbarn ebenso wie für überregionale Konkurrenten:
– Wenn etwa der Hafen in Emden ausgebaut wird, schreit – im bildlichen Sinne – Leer nach Gleichbehandlung; wird Stade-Bützfleth modernisiert, darf Brunsbüttel nicht hinterherhinken;
– wenn Hamburg unter Milliarden-Aufwand Hunderte Menschen eines ganzen Dorfes (Altenwerder) umsiedelt und dieses anschließend plattmacht, um seinen Hafen zu erweitern, verlängert Bremen seine Containerkaje am Meer bis vor die Tore eines dortigen Dorfes (und nur die Landesgrenze bremst weiteren Ausbau);
– wenn Bremen und Niedersachsen gemeinsam eine Weservertiefung planen, fordert Hamburg eine weitere Elbvertiefung – und so weiter.
Wobei im letztgenannten Falle nicht nur der Wettbewerb untereinander eine Rolle spielt: Ohne die unmittelbare Konkurrenz aus dem Auge zu verlieren, können die Weser- und Elb-Hanseaten auch sehr gut an einem gemeinsamen Strang ziehen unter Hinweis auf den Wettbewerb mit den so genannten ARA-Häfen – das Kürzel meint Amsterdam und Rotterdam sowie das belgische Antwerpen. Und das schlägt dann auch bis zur Bundesebene durch und findet sich im Nationalen Hafenkonzept 2015 wieder – ohne die besagten Vertiefungen würden Hamburg und Bremerhaven „abgekoppelt“, heißt es da: „In diesem Fall wären eine Verlagerung der Verkehre nach Rotterdam und Antwerpen und zunehmende Landverkehre zu befürchten“ (9).
Eine doppelt krude Argumentation – weder ist sie haltbar noch ist sie totzukriegen. Seit Jahrzehnten wird sie allen Kritikern aller Hafenausbau- und anderer Infrastrukturpläne um die Ohren gehauen, obwohl sie nicht der Realität entspricht. Die wichtigsten Verkehrs- und Güterströme der ARA-Häfen laufen traditionell nach Großbritannien, Nordfrankreich, Ruhrgebiet, Rhein-Main sowie Schweiz und Norditalien – die Hinterlandverkehre der großen deutschen Häfen orientieren sich überwiegend nach Süddeutschland, Österreich, Ost- und Südosteuropa sowie Skandinavien. Selbst in amtlichen Prognosen für die nahe Zukunft (2025) wurde dies noch 2007 im Wesentlichen bestätigt (10). Zwar gibt es immer wieder punktuelle Verschiebungen und temporäre Verlagerungen, auch aktuell – nur rechtfertigen die keinen Ausbau hiesiger Häfen auf Steuerzahlerkosten, oft unter Inkaufnahme massiver Überkapazitäten.
Nur kurz und beispielhaft seien an dieser Stelle einige Aspekte erwähnt, die derartige Verschiebungen verursachen oder prägen können:
– Es ist Teil dieser Argumentation (gerade mit Blick auf die angestrebten Flussvertiefungen, siehe unten), dass große Schiffe in den ARA-Häfen Teile ihrer Ladung löschen müssten, weil sie hiesige Häfen mit ihrem Tiefgang sonst nicht erreichen könnten. Ohne hier nautische oder logistische Details zu erläutern: Dies mag in seltenen Einzelfällen (11) zutreffen, im Prinzip ist es Blödsinn, denn die Ladungsverteilung auf verschiedene Häfen basiert auf ganz anderen Kriterien – hundert Tonnen oder Boxen mehr rechtfertigen keinen millionenteuren Ausbau. Das gilt nicht nur für Containerschiffe, die tausende Boxen mit Gütern für tausende Empfänger an hunderten Standorten transportieren, sondern längst auch für Massengutfrachter. Schiffe, die im interkontinentalen Verkehr mit großem Tiefgang die Ozeane queren, löschen / laden in Europa etappenweise, verringern / steigern also von Hafen zu Hafen ihren Tiefgang und damit ihren Bedarf an Fahrwassertiefe.
– – Ein zusätzlicher Hinweis, nur am Rande: Die in diesem Beitrag mehrfach erwähnten, geplanten Flussvertiefungen von Weser und Elbe sind seit vielen Jahren heftig umstritten. Zur Weser-Vertiefung ist soeben ein Urteil vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ergangen, zur Elb-Vertiefung wird dasselbe Gericht voraussichtlich noch in diesem Jahr entscheiden. Die Details dieser Auseinandersetzungen würden den Rahmen dieses Textes erheblich sprengen (12). Daher an dieser Stelle nur der Hinweis: Obwohl die Richter im Falle der geplanten Weser-Vertiefung der Form halber auf „rechtswidrig“ erkannt haben, werden die Bedarfs-Prognosen der Planer weitgehend kritiklos übernommen; weshalb diesen höchstrichterlich zugestanden wird, ihre fehlerhafte Planung nachbessern zu dürfen. Soll heißen: Die amtliche Propaganda der Steuerverschwender „wirkt“ bis hin zum BVerwG.
– Es gehört auch zu diesem Propaganda-Repertoire, dass die Häfen sich ja den wachsenden Schiffsgrößen anpassen müssten, um im Wettbewerb bestehen zu können. Auch dies ist eine Pseudo-Wahrheit, denn eigentlich müsste kein Hafen – und damit die öffentliche Hand – sich solchen, oft mit Drohungen verknüpften Forderungen der Reeder beugen. Schließlich hängen diese ihrerseits bekanntlich selbst an den staatlichen Subventionstöpfen (1). Eine gesamtstaatlich koordinierte Hafenpolitik könnte dem also schnell einen Riegel vorschieben nach dem einfachen Motto: Wer zahlt, bestimmt die Normen. Leider ist das Gegenteil der Fall, bislang verweist – Bürgermeister-Konkurrenz! – ein Hafen auf den anderen: Der da gibt den Reedern nach, also müssen wir auch…
In jüngster Zeit allerdings werden die Zweifel lauter, ob dieses nicht enden wollende Schiffsgrößenwachstum auf Dauer auch vernünftig ist: Das Internationale Transport-Forum der OECD legte im Frühjahr 2015 eine umfangreiche Studie vor, die diese Entwicklung kritisiert (13); kurz zuvor warnte bereits der Allianz-Konzern vor steigenden Versicherungs-Risiken (14); und lokal zählt etwa der Bremer Nautik-Professor Ulrich Malchow zu den namhaften Kritikern dieses Erpressungs-Karussells und bezweifelt Sinn und Nutzen dieses Größenwahns (15).
– Viel gefährlicher gerade für deutsche Häfen ist eine andere, selbst verschuldete Entwicklung: Seit Jahren sind mehrere Ostseehäfen so massiv ausgebaut worden, dass selbst Containerriesen – die, siehe oben, am Ende / Anfang ihrer Interkontinental-Routen nie voll abgeladen fahren, also auch keine maximalen Tiefgänge haben – dort problemlos löschen / laden können. Ein wesentliches Geschäft hiesiger Häfen war es bislang, im Fernost- oder Transatlantikverkehr ein- oder ausgehende Fracht zu verteilen oder zu sammeln: Kleinere, so genannte „Feeder“‑Schiffe bringen oder holen Container etwa aus dem Ostseeraum nach oder von Hamburg oder Bremerhaven. Wenn also der Eurogate-Konzern – an dem der staatliche Bremer Logistiker BLG zur Hälfte beteiligt ist – im russischen Ust Luga einen Containerhafen baut, der von Mega-Carriern via Skagen direkt angelaufen werden kann, schädigt er damit unmittelbar seine eigenen Geschäfte in Bremerhaven ebenso wie im bremisch-niedersächsischen Tiefwasserhafen JadeWeserPort (JWP) oder auch in Hamburg. Mit Blick auf den ebenfalls ausgebauten Hafen von Gdansk schreibt die Tageszeitung „Die Welt“ bedauernd: „Mit jedem Container, der nicht in Hamburg umgeladen wird, verliert der größte deutsche Seehafen zwei Kranbewegungen: vom Seeschiff auf den Kai und von dort auf den Feeder“ (16).
– Noch schwerer wiegende Folgen für die deutschen Universalhäfen wird es haben – Tendenzen zeichnen sich bereits ab –, wenn im Mittelmeerraum der längst begonnene Ausbau der Containerhäfen weiter vorangetrieben wird. In einer vom Juli 2015 stammenden Übersicht werden für die Häfen von Tanger bis Piräus für das Jahr 2014 Containerumschlagskapazitäten von 35,1 Millionen TEU bilanziert. Bis 2020 sollten es dieser Aufstellung nach schon gut 15 Prozent mehr werden, knapp 41 Millionen TEU – möglicherweise muss diese Zahl inzwischen noch nach oben korrigiert werden (17). In Verbindung mit dem erweiterten Suez-Kanal und dem Ausbau der kontinentalen europäischen Transporttrassen kann dies bisherige Güterverkehrsströme massiv verändern. Viele Boxen, die früher ihren Weg von ARA- oder deutschen Nordsee-Häfen gen Süden nahmen, könnten künftig von Süd nach Nord verteilt werden. Und auch hier spielen öffentliche Gelder und Kapitaltransfers eine wesentliche Rolle – ob man nun das direkte Engagement von Eurogate in Tanger sowie fünf italienischen Häfen berücksichtigt oder die Tatsache, dass der Verkauf des Hafens im griechischen Piräus an chinesische Investoren nur auf Druck der EU-Administration zustande gekommen ist.
– Letzter Aspekt in diesem Zusammenhang: Manche Experten reden bereits von einer bevorstehenden „Deglobalisierung“, die durch Rückverlagerung der Produktion hier konsumierter Güter aus Fernost nach Osteuropa oder Nahost zwangsläufig die Güterverkehrsströme umkrempelt – zum Nachteil der Auslastung von ARA- und deutschen Nordsee-Häfen. „Wenn in zunehmendem Maße beispielsweise die Textilindustrie an die europäische Peripherie zurückkehrt“, skizzierte kürzlich Christoph Spehr in der WATERKANT ein Gespräch mit dem Rotterdamer ITF-Inspektor Gijs Mol, „weil die Arbeitskosten in China steigen und in der Türkei, Nordafrika oder Griechenland fallen, dann wird das auch die derzeitigen Handelsströme verändern. Von einem immer weiteren Wachstum des globalen Containerverkehrs könne jedenfalls niemand ausgehen“ (18).
Zusammenfassend: Von Hafenausbau und Fahrwasservertiefungen an der Deutschen Bucht über Ausbau von Ostsee- und Mittelmeerhäfen bis zum Kotau vor hochsubventionierten Reedern – alles, was die so genannte Wettbewerbssituation der deutschen Häfen derzeit beeinflusst und möglicherweise beeinträchtigt, ist selbst verschuldetes, weil in hohem Maße aus Mitteln der öffentlichen Hand finanziertes Elend. Kein Kommunal- oder Landespolitiker und kein Beamter dieser Administrationen sollte deshalb in großes Wehklagen verfallen, sondern zunächst einmal die Schuld bei seinesgleichen suchen. Und vielleicht im nächsten Schritt darüber nachdenken, ob es nicht im Interesse der Hafenstandorte, ihrer Menschen in der Region, insbesondere der Beschäftigten der Häfen und der Logistikbranche, geboten wäre, endlich einmal über Kooperation zu reden.
Wohlgemerkt: echte Kooperation – das aktuelle „Nationale Hafenkonzept 2015“ des Bundes (9) benutzt diesen Begriff zwar häufig, meint damit aber keine Steuergeld und Ressourcen schonende Zusammenarbeit. Das Regierungspapier verweist lediglich auf einige Modelle, in denen beteiligte Küstenländer und Fachressorts „gemeinsame Positionen erarbeiten“ (9, S. 22), ohne deshalb auf Konkurrenz im Kampf um Ladung zu verzichten.
Seit rund 30 Jahren schon fordern Bürgerinitiativen und Umweltverbände in wechselnden Allianzen ein Miteinander der Häfen – vergeblich. Worte wie „Ladungslenkung“ oder Ähnliches sind für die Branche rote Tücher – für die Reeder, weil sie Häfen, Hafenbetreiber und Spediteure nicht mehr gegeneinander ausspielen könnten; für die Häfen, weil ihnen ja die eine oder andere Tonne oder Box entgehen könnte. Es mutete sensationell an, als es 1997 dem Hamburger Hafenmanager Peter Dietrich gelang, seine Landesregierung zum Vorschlag einer Kooperation mit Bremen zu bewegen. „Der Vorstoß scheiterte jedoch am damaligen Konkurrenzdenken Bremens“, bilanzierte Claas Wowries von der Hamburger Bundeswehr-Hochschule 2008 in seiner Dissertation zur „Kooperation der norddeutschen Bundesländer“ (19).
„Ein nationales Hafenkonzept, das den Bundesländern weiterhin erlaubt, unabhängig voneinander und in Konkurrenz stehend eine eigenständige Hafenpolitik zu betreiben, kann nicht als Konzept für eine integrierte Hafenplanung durchgehen“, schrieb Herbert Nix vom Hamburger „Förderkreis ‚Rettet die Elbe‘ e. V.“ als Mitherausgeber der Zeitschrift WATERKANT ein Jahr später (20), damals bezogen auf das Hafenkonzept 2009 des Bundes. Das gilt aber auch heute noch. Die im Grundgesetz festgeschriebene „Länderhoheit“ für die Hafenplanung abzuschaffen, sei unabdingbar, so Nix weiter: „Ein zukunftsfähiges Hafenkonzept muss nicht nur die Frage beantworten, ob und wie die einzelnen Häfen unter volkswirtschaftlichen und sozialen Aspekten kostendeckend … arbeiten könnten. Es muss auch geprüft werden, inwieweit unter gesamtgesellschaftlicher Verantwortung – und das schließt die ökologischen Belange zwingend ein – einzelne Häfen aus- oder rückgebaut werden können. Es müssen ferner die Möglichkeiten einer ökologisch und ökonomisch sinnvollen Ladungslenkung und des Subventionsabbaus ebenso gewissenhaft geprüft werden wie die Chancen und Folgen einer arbeitsteilenden Vernetzung zwischen den Häfen“ (20).
2013 präsentierte das Bündnis „Lebendige Tideelbe“, dem die Umweltverbände BUND, NABU und WWF angehören, eine Studie des Logistikforschers Frank Ordemann über ein „Szenario für eine Seehafenkooperation im Bereich des Containerverkehrs“ als „Alternative zur Vertiefung der Flussmündungen von Elbe und Weser“, in der es skurrilerweise unter anderem auch um Ladungslenkung geht, ohne dieses Pfui-Wort auch nur einmal zu benutzen (21). Aber für den Deutschen Bundestag war dies Anlass genug, 2015 von seinem wissenschaftlichen „Fachbereich Europa“ eine Studie erstellen zu lassen über „Hafenkooperation in Norddeutschland im Lichte des EU-Kartellrechts“ (22) – und die kam zu dem erstaunlichen Schluss, eine durch Ladungslenkung resultierende Marktaufteilung „wäre mit dem Kartellverbot allerdings nur dann unvereinbar, soweit dadurch beispielsweise die Häfen Amsterdam und Rotterdam benachteiligt würden und der Endverbraucher letztlich aus weniger Angeboten wählen könnte.“ Und abschließend: „Eine Zusammenarbeit im Hafenbereich stellt somit jedenfalls nicht per se einen Verstoß gegen europäisches Kartellrecht dar – ob ein solcher vorliegt, ist vielmehr eine Frage der konkreten Ausgestaltung der vorgeschlagenen Kooperation.“
Dumm nur, dass auch solche Studien im Alltag keine nennenswerte Bedeutung entfalten konnten. Es gilt – gefühlt, nicht faktisch belegbar – auch hier der schon in den ersten beiden Folgen dieser Serie vermittelte Eindruck, dass es längst nicht genügend Druck „von unten“ gibt, um die Plünderung öffentlicher Kassen durch die maritime Wirtschaft zu bremsen oder auch nur wirksam zu kontrollieren. Im Kern müsste es – wie zugegebenermaßen in vielen anderen Bereichen auch – darum gehen, dass eine Branche es zu akzeptieren hat, reguliert zu werden, wenn sie öffentliche Mittel beansprucht: Wer zahlt, bestimmt die Normen. Politik und Verwaltung müssen dringend den Mumm aufbringen, solche Regulierung über eigene Grenzen und Strukturen hinaus zu projektieren und gegenüber der jeweiligen Branche auch durchzusetzen.
Schön wär‘s. Vorerst bleibt festzuhalten, dass ein gut organisiertes Netzwerk in maritimer Wirtschaft plus Politik und Verwaltung einen stetigen Ausbau von Häfen und Hafenzufahrten ebenso vorantreibt wie weitere Subventionen für Schifffahrt oder Schiffbau. Die öffentliche Kontrolle, die dergleichen eigentlich regeln helfen sollte, wird gekonnt manipuliert: Für ein bestimmtes Vorhaben wird ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass – je nach Umständen – die wirtschaftliche Notwendigkeit und / oder die ökologische Verträglichkeit und / oder die regionalpolitische Bedeutung hervorhebt und bestätigt. Dieses vom „Vorhabensträger“ bestellte und bezahlte Gutachten fließt dann in das Planfeststellungsverfahren ein und wird so quasi unanfechtbar – selbst, siehe oben, für höchste Gerichte. Und selbst wenn spätere Entwicklungen, durchaus auch noch während der Umsetzung, die Datenlage verändern, führt dies in der Regel nicht zu Neubewertungen. Polemisch formuliert: Die Bedarfsprognosen, die Millionen-Investitionen der öffentlichen Hand begründen und rechtfertigen, haben einen Horizont, der selten mehr als wenige Kilometer weit reicht, erstrecken sich dafür aber auf Zeiträume, die sie zu Spökenkiekerei werden lassen.
Deutschlands zwölf größte Seehäfen sind – in der Reihenfolge ihres Güterumschlags – Hamburg, Bremerhaven/Bremen, Wilhelmshaven, Rostock, Lübeck, Brunsbüttel, Brake, Stade-Bützfleth, Puttgarden, Emden, Kiel und Wismar (23). Hier und jetzt soll aus Gründen der Übersichtlichkeit nur auf die ersten drei geschaut werden – und auch dies nur fragmentarisch. Die zuvor beschriebene Systematik von Hafenplanung, -bau und -betrieb kann daran gut verdeutlicht werden.
Zunächst ein kurzer Blick auf Hamburg: Die Hansestadt verfügt über den größten deutschen Seehafen, nach Rotterdam und Antwerpen auf Platz 3 der europäischen Rangliste. Nach Angaben der eigenen PR-Gesellschaft „Hafen Hamburg Marketing“ erstmals im 9. Jahrhundert erwähnt (24), bezeichnet sich der Hafen heute als „Welthafen“ und meldet für das vergangene Jahr einen Gesamtumschlag von 137,8 Millionen Tonnen (25). Nach dem bisherigen Maximum von 145,7 Millionen Tonnen in 2014 ist das ein leichter Rückgang; die Gründe dafür spielen in diesem Zusammenhang nur teilweise eine Rolle: Verwiesen wird auf Einbrüche im Russland-Geschäft wegen des Embargos, sicher sind jedoch auch die erwähnten Kapazitätssteigerungen in Ostsee- und Mittelmeerhäfen in Betracht zu ziehen.
Wichtiger aber ist dieses: Der Welthafen ist für die SteuerzahlerInnen ein ganz tiefes Loch, in dem die Euro-Milliarden noch weitaus schneller weggespült werden als schon im vergangenen Jahrhundert die D-Mark-Milliarden. Es entspricht hanseatischer Tradition – über Geld spricht man nicht –, dass genaue Details nicht auszumachen sind. Weder Politik noch Verwaltung und schon gar nicht die beteiligte Wirtschaft sind je bereit gewesen, offenzulegen, wie viel Steuergeld eigentlich in Bau und Unterhalt der Häfen und ihrer Infrastruktur steckt. Sicher ist nur, dass die Einnahmen über Pacht und Hafengebühren diesen Aufwand nicht annähernd decken. Zwar bemühen sich zivilgesellschaftliche Kräfte wie der erwähnte „Förderkreis ‚Rettet die Elbe‘ e. V.“ oder „Hamburg für die Elbe“, die Bürgerinitiative zum Schutz der Elbe, seit Jahren, immer mal wieder Zahlen, derer sie habhaft werden können, zu verknüpfen und zu veröffentlichen (26). Aber von einem genauen Überblick oder gar einem belastbaren Kenntnisstand kann nicht geredet werden.
Mehr als 20 Jahre dauerte der – leider vergebliche – Kampf der Menschen im oben erwähnten Stadtteil Altenwerder gegen die Vernichtung ihres Dorfes (27). An dessen traditionsreichen Namen erinnert inzwischen nur noch die amtliche Bezeichnung „Container-Terminal Altenwerder“ (CTA) – von 1997 bis 2002 wurden vier Großschiffsliegeplätze an einer 1400 Meter langen Kaje gebaut und dahinter rund 100 Hektar Lagerkapazität geschaffen. Wie viele Milliarden D-Mark die Planung mit allen Prozessen, die Enteignung/Abfindung/Umsiedlung der Menschen, der Bau und weitere Folgen gekostet haben, ist nicht exakt zu beziffern. Orientierung mag eine aktuelle Zahl bieten: Altenwerder ist ja nur eines von vielen Beispielen für teure Hafenplanung in Hamburg, zur Zeit verlangt Eurogate den Ausbau seiner Kaje gegenüber von Övelgönne – rund 1000 Meter Kajenverlängerung und 40 weitere Hektar Terminalfläche sollen die Steuerzahler einschließlich aller sonstigen Aufwendungen mehr als eine halbe Milliarde Euro kosten (28). Die Initiative „Hamburg für die Elbe“ hat die Kostendeckung des Hafenbetriebs auf läppische 13 Prozent beziffert – errechnet aus der aktuellen Gewinn- und Verlustrechnung der Hamburg Port Authority (HPA) und den Einnahmen aus den Hafengebühren, die die Schifffahrt zu entrichten hat. Sarkastisch weist die Initiative darauf hin (29), dass der lokale ÖPNV aus den Ticketverkäufen an die BürgerInnen eine Kostendeckung von 90 Prozent erreicht…
Inwieweit in diesen Zahlen einstige Baukosten in vollem Umfang berücksichtigt sind, ist ebenso wenig klar zu beantworten wie die Frage nach den hunderten Millionen Euro, die jährlich für die Entschlickung der Hamburger Häfen samt den Folgekosten der Verklappung vor Helgoland einschließlich Ausgleichszahlungen aufzubringen sind; die Kreise und Kommunen an der Elbmündung konferieren gerade wegen des akuten Problems der zunehmenden Verschlickung ihrer Küsten, Strände und kleinen Häfen durch das baggerungsbedingt veränderte Strömungsverhalten der Elbe. Ein vergleichbares Schlickproblem beklagen übrigens auch die Kommunen und Kreise in der Umgebung des Bremerhavener Container-Terminals, sowohl an der nördlich gelegenen Wurster Küste als auch gegenüber auf der Halbinsel Butjadingen.
Das Land Bremen als Zwei-Städte-Staat hatte sich im Zuge der Schifffahrtsentwicklung ebenfalls jahrzehntelang teure Fehlplanungen geleistet, deren Gesamtkosten aber nie komplett saldiert worden sind. Traditionell verfügte die Stadt Bremen relativ citynah am rechten Weserufer über ein ausgedehntes Areal mit diversen Hafenbecken – Europahafen, Überseehafen, Holz- und Fabrikenhafen, die sieben Industriehäfen und andere mehr. Weil man das in Zeiten des so genannten „Wirtschaftswunders“ für langfristig unzureichend hielt, wurde ab 1960 der Neubau ausgedehnter Hafenanlagen links der Weser („Neustädter Häfen“) beschlossen – anfängliche Kostenkalkulation 31,5 Millionen D-Mark plus 27,5 Millionen für Grundstückskäufe und -enteignungen. Trotz diesbezüglicher juristischer Auseinandersetzungen wurde zügig gebaut, schon im Februar 1964 das erste Schiff abgefertigt, im Oktober 1966 der Containerumschlag begonnen, zwei Jahre später, im November 1968, der 100.000 gelöschte Container bejubelt (30). Na, ja – das war‘s dann auch. Drei der fünf geplanten Hafenbecken wurden nie gebaut, das zweite irgendwann zugeschüttet – Projektgesamtkosten offen. Dasselbe Schicksal erlebte Ende der 1990er Jahre auch der Überseehafen – verfüllt und zu einer Yuppie-Wohn- und -Bürostadt ausgebaut, sozusagen am Ufer eines zum Sportboothafen umgewidmeten Ex-Europahafens.
Stattdessen wurde ab Ende der 1960er Jahre wegen der damals schon größer werdenden Schiffe der Containerumschlag nach Bremerhaven verlagert: 1968 begann der Bau des ersten, 700 Meter langen Teils der so genannten „Stromkaje“, eines Container-Terminals (CT) direkt am seeseitigen Außenweserufer, 1971 bereits wurde sie in Betrieb genommen. In den Folgejahrzehnten wurde diese Kaje in vier Planungs- und Bauabschnitten nach Norden – siehe oben: bis zur Landesgrenze – auf insgesamt knapp fünf Kilometer verlängert; dazu gehören rund 300 Hektar Lagerfläche. Auch hier gilt: Die Gesamtkosten dieser Projekte sind nicht exakt zu beziffern, nur fragmentarisch können Einzelwerte einen Eindruck vermitteln.
Als Mitte der 1990er Jahre die Ausbaustufe „CT III“ gebaut wurde, schrieb der Schifffahrtsökonom Robert Kappel in der WATERKANT: „Aus öffentlichen Mitteln wurden … von 1969 bis 1983 etwa 660 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Der jetzige Ausbau … soll insgesamt 700 Millionen Mark und die (dafür vorgesehene, Anm. d. A.) Außenweservertiefung etwa 86 Millionen Mark kosten“ (31). Ergänzend hinzuziehen kann man hier eine Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen aus dem Jahre 2004: „CT III a wurde im November 2003 fertiggestellt. (…) Die vom Land Bremen übernommenen Investitionskosten betragen 97 Millionen Euro. (…) Die Kosten für das Projekt CT IV liegen bei 498 Millionen Euro. (…) CT IV wird … einschließlich der Kreditkosten einen finanziellen Aufwand von etwa einer Milliarde Euro verursachen. (…) Bis 2047 wird nach der derzeitigen Rechnung jährlich ein Betrag von 16,8 Millionen Euro für Zins und Tilgung aufgewendet werden müssen“ (32).
Obwohl die vor der letzten Ausbaustufe CT IV erstellten Umschlagprognosen verblüffend nahe an der Realität lagen, ja, punktuell sogar von ihr überholt werden – für 2015 waren an der „Stromkaje“ 5,14 Millionen TEU vorhergesagt (32), tatsächlich wurden nach Angaben der Hafengesellschaft „bremenports“ 5,48 Millionen TEU umgeschlagen (33) –, gilt auch für Bremen und Bremerhaven, wenngleich nicht akut bezifferbar, die Aussage, dass die Kosten der Häfen einschließlich Unterhalt und Baggerungen historisch wie aktuell nicht annähernd von den Einnahmen durch Hafengebühren gedeckt, geschweige denn profitabel übertroffen werden. Mehr noch: „Die Investitionen in die Containerterminals erfolgen vor dem Hintergrund, dass die bremischen Häfen als ‚Säulen der regionalen Wertschöpfung‘ angesehen werden. Die Ansicht, dass ein voll ausgelasteter Hafen Grundlage für eine prosperierende regionale Wirtschaft ist, ist inzwischen … allerdings überholt“ (33).
Welche skurrilen Blüten das treiben kann, ist gerade am Beispiel Bremerhavens zu belegen, wenn man auf den aktuellen Streit um den geplanten „Offshore-Terminal Bremerhaven“ (OTB) schaut: Lokalpolitiker hofieren die örtliche Windkraftbranche und versprechen ihr zwecks Senkung ihrer betrieblichen Kosten einen Spezialhafen für Verschiffung ihrer Anlagen. Die erstellten Bedarfs-Prognosen sind zweifelhaft, es findet sich weder für Planung und Bau noch Betrieb in mehreren Ausschreibungen irgendein Interessent. Schließlich übernimmt die öffentliche Hand selbst das – nach ihren eigenen Schätzungen – 180 Millionen Euro teure Projekt, schließt einen Regionalflughafen, dessen Landebahn als Hafenzufahrt benötigt wird, vertreibt so ansässige gewerbliche wie Hobby-Flieger und plant einen Hafen in einem Areal, das sie zuvor zur Naturschutz-Ausgleichsfläche für CT IV erklärt hatte. Prompt wird ihr Vorhaben gerichtlich gestoppt, mittlerweile sind wesentliche Offshore-Windkraft-Firmen aus externen Gründen insolvent, potente Konkurrenten wie Siemens siedeln sich 40 Kilometer weiter nördlich in Cuxhaven an – und dennoch halten die Lokalpolitiker des Haushalts-Notlage-Bundeslands Bremen unverdrossen und ungestraft an ihrer Millionen Steuergelder verschlingenden Planung fest. Wenn nicht die Justiz das Projekt noch endgültig unterbinden sollte, wird in den nächsten Jahren ein Schwerlasthafen in die Weser gebaut, den niemand wirklich braucht (34) – und für dessen Misserfolg (und / oder Überteuerung durch Fehlplanung) auch niemand die Verantwortung übernehmen muss.
Bleibt zum Schluss, sozusagen als Krönung dieser fragmentarischen Steuergeldverschwendungsbilanz dank lokalpolitischer Verfilzungen mit – und Rückgratlosigkeit gegenüber – der maritimen Branche, das Projekt „JadeWeserPort“ (JWP) in Wilhelmshaven zu erwähnen. Dies kann an dieser Stelle auf wenige Absätze beschränkt bleiben, weil der Norddeutsche Rundfunk (NDR) in seltener Akribie eine Chronologie dieses Projekts im Internet verfügbar hält, in der jede und jeder die Details nachlesen kann (35).
Nachdem schon Ende des vergangenen Jahrtausends die Stimmen immer lauter wurden, dass Deutschland unbedingt auf die anhaltende Schiffsgrößenentwicklung – siehe oben – vorbereitet werden müsse, beschlossen 2002 die Länder Bremen und Niedersachsen, gemeinsam an der Jade einen Tiefwasserhafen zu bauen. Vorausgegangen waren – siehe oben – Überlegungen, gemeinsam mit Hamburg solch ein Projekt zu stemmen; vorübergehend war auch Cuxhaven als Alternativstandort im Gespräch (36).
Es begann eine Periode geradezu chaotischer Planungen, Ausschreibungen und Vergabestreitigkeiten, gefolgt von einer Bauphase mit wiederum juristischen Auseinandersetzungen, Firmengerangel und zeitraubenden Pannen wegen Baupfuschs an der Kaje (37). Am 21. September 2012 schließlich wurde der Hafen in Betrieb genommen und dümpelt seither völlig unausgelastet vor sich hin. Ausgelegt für einen Umschlag von 2,7 Millionen TEU pro Jahr, wurden anfangs nur wenige tausend Container umgeschlagen. Für das Jahr 2015 wurden amtlich 426.700 TEU bilanziert – allerdings bedürfen diese Zahlen einer kurzen Erläuterung: Wie in vielen (wenn nicht allen) anderen Häfen auch, werden im JWP Boxen oftmals doppelt gezählt (siehe oben, Anm. 16) – einmal als Eingang, wenn sie von einem Schiff gelöscht und auf die Kaje gesetzt, einmal als Ausgang, wenn sie von der Kaje auf ein anderes Schiff geladen werden (25, 33).
Die Hamburger Häfen beispielsweise waren und sind, wie bereits angerissen, stark in der Organisation so genannter „Feeder“-Verkehre: Interkontinentale Mega-Carrier bringen Fracht aus Übersee, an der Elbe wird sie – mit oder ohne Zwischenlagerung im Terminal – auf kleinere Schiffe umgeladen und via Nord-Ostsee-Kanal weiter transportiert. Gerade beim JWP aber wirkt diese Zählweise als Verfälschung der Ergebnisse, denn dieser Hafen ist ausdrücklich gebaut worden für jene Mega-Carrier, die wegen ihrer angeblich vielen Boxen und hohen Tiefgänge nicht oder nur mit Wartezeiten Bremerhaven oder Hamburg anlaufen können. Und eben dies ist wiederum Propaganda: Wegen der logistischen Kette laufen bislang Mega-Carrier nie voll abgeladen in Weser oder Elbe ein; bis heute steht der JWP nur in den Fahrplänen von zwei oder drei Linien, hat also auch nicht mehr Großschiffsanläufe pro Woche, der Rest sind wiederum Feeder. Und zudem deuten die oft nur mäßig variierenden Abladetiefen der Großschiffe bei Ein- und Ausgang darauf hin, dass der JWP gerne als Zwischenlager für Leercontainer genutzt wird – von Wertschöpfung kann da kaum gesprochen werden.
Der JadeWeserPort hat beste Chancen, als Riesen-Flop in die Geschichte einzugehen. Auch Jahre nach Inbetriebnahme ist nicht erkennbar, dass wesentliche Linienverkehre der globalen Containerschifffahrt hierher umgelenkt oder gar neu eingerichtet werden. Das hat zu tun sowohl mit den erwähnten bewährten Logistikketten als auch mit der anhaltenden Schifffahrtskrise insgesamt. Trotzdem treiben die Eignerländer Niedersachsen und Bremen die Erweiterung über die 2,7-Millionen-TEU-Kapazitätsgrenze hinaus bereits heute planerisch voran. Und obwohl das bisherige JWP-Abenteuer die Steuerzahler mehr als eine Milliarde Euro gekostet hat, muss der Betrieb jährlich millionenschwer bezuschusst werden. Aktuell hat sogar die EU-Kommission dies abgesegnet, indem sie eine Beschwerde des EU-Rechnungshofs zurückwies (38). Es war bei Redaktionsschluss noch unklar, ob die Prüfer sich damit zufrieden geben.
Denn die – das ist die gute Nachricht zum Abschluss dieses Beitrags – haben die öffentliche Bezuschussung der Häfen und des gesamten Seeverkehrs im Visier. Im September 2016 hat der Rechnungshof einen „Sonderbericht“ vorgelegt, der die europaweit getätigten und von der EU kofinanzierte Milliarden-Investitionen in Hafeninfrastruktur als „unwirksam und nicht nachhaltig“ bezeichnet. Nicht nur die Mitgliedsstaaten, auch die EU-Kommission selbst werden scharf kritisiert – die „angenommenen Entwicklungsstrategien für die Häfen“ enthielten „keine ausreichenden Informationen …, um eine wirksame Kapazitätsplanung zu ermöglichen“ (39).
Die schlechte Nachricht wäre diese: Die Kritik verpufft im Alltag der Europäischen Union und im allzu trauten Miteinander von maritimer Branche, Politik und Verwaltung wie schon viele Verschwendungskritiken zuvor. Vielleicht tragen diese Zeilen ja dazu bei, das zu verhindern…
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bitte © Copyright beachten, danke: keine Verwendung ohne Zustimmung des Autors, Burkhard Ilschner, sowie der Zeitschrift BIG Business Crime!
Dieser Text entstand Anfang Oktober 2015, bitte bei verwendeten Daten berücksichtigen.
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Anmerkungen:
* Der Autor ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift WATERKANT.
1. Die beiden ersten Teile dieser Serie sind in Heft 2 / 2015 (Schiffbau und Werften) und 4 / 2015 (Reeder und Seeleute) erschienen. Weitere Folgen sind geplant, Näheres siehe 2 / 2015, S. 17. – Es geht in dieser Serie um Subventionen und Begünstigungen wirtschaftlichen Handelns, die durch effektive politische Vernetzung jeweils legal abgesichert wurden – nicht um Korruption im strafrechtlichen Sinne: Die Grenzen zwischen dem einen und dem anderen Aspekt zu bewerten, sei der kritischen Phantasie der Leser überlassen…
2. Wilhelm, Frauke: „Die Taschen waren voller Geld“ – Hafen- und Rotlichtgeschichten von der Bremer „Küste“ in den 50er und 60er Jahren; Bremen, 2011; Edition Temmen; ISBN 978‑3‑83781‑026‑4.
3. Janssen, Peer: „Ding und Un-Ding zugleich“ – Vor 50 Jahren begann die Container-Ära auch in deutschen Häfen – und veränderte sie; in: WATERKANT, Jg. 31, Heft 2 (Juni 2016), Seite 31 f.; Ilschner, Burkhard: „Die Büchsen der Fairland“; in: Tageszeitung „junge Welt“ vom 5. Juni 2016.
4. Geffken, Rolf : „Arbeit und Arbeitskampf im Hafen“ – Zur Geschichte der Hafenarbeit und der Hafenarbeitergewerkschaft; Bremen, 2015; Verlag: Edition Falkenberg, gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen e. V.; ISBN 978‑3‑95494‑053‑0.
Kurzüberblick zur Historie von Hafenarbeit: http://kurzlink.de/aul_hafen, undatiertes Manuskript der Bildungsvereinigung „Arbeit und Leben“ (Bremen).
5. http://kurzlink.de/wsv_wasserwege
6. Oltmanns, Jan: „Kriminalisiert und entwürdigt“ – Die Umsetzung des ISPS-Code terrorisiert die Seeleute; in. WATERKANT, Jg. 20, Heft 4 (Dezember 2005), Seite 19.
7. Es geht in diesem Beitrag – Stichwort: maritime Wirtschaft – um die Seehäfen mit überwiegend internationalem beziehungsweise interkontinentalem Verkehr. Vieles mag auch auf große und mittlere Binnenhäfen übertragbar sein, aber dies und mögliche Unterschiede seien hier ausgeklammert.
8. http://kurzlink.de/zeit_51-10_hm
9. http://kurzlink.de/nhk_2015
10. Seeverkehrsprognose des Bundesverkehrsministeriums, 2007: http://kurzlink.de/prog_2007-3
11. Für den Mittelhafen Brake/Unterweser beispielsweise lässt sich statistisch (eigene Datenerfassung WATERKANT) belegen, dass in den ersten acht Monaten dieses Jahres von gut 700 ein- und ausgelaufenen Seeschiffen nur 3,76 Prozent mehr als zehn Meter Tiefgang hatten – und lediglich elf Schiffe nutzten den zur Zeit maximalen Tiefgang von 11,9 Metern aus.
12. mehr siehe WATERKANT, Jg. 31, Heft 3 (September 2016), Seite 11 ff.
13. http://kurzlink.de/oecd_mega-ships
14. http://kurzlink.de/allianz_mega-ships
15. Malchows Thesen werden oft zitiert, hier nur drei von vielen Links zur weiteren Information: http://kurzlink.de/malchow_mm; http://kurzlink.de/malchow_faz; http://kurzlink.de/malchow_wr.
16. http://kurzlink.de/welt_hh-pl_151101
17. http://kurzlink.de/teu_prognose – die Zusammenstellung stammt übrigens ironischerweise vom unausgelasteten JWP, genauer: der JadeWeserPort-Marketing GmbH & Co. KG.
18. WATERKANT, Jg. 31, Heft 3 (September 2016), Seite 10 – das Kürzel ITF steht für die Dachgewerkschaft Internationale Transportarbeiter-Föderation.
19. http://kurzlink.de/wowries_biblio; ISBN 978-3-631-58017-2
20. WATERKANT, Jg. 24, Heft 3 (September 2009), Seite 3
21. http://kurzlink.de/studie_hafenkoop
22. http://kurzlink.de/bt_studie-hafenkoop
23. Der Zentralverband Deutscher Seehafenbetriebe veröffentlicht hierzu kontinuierlich die amtlichen Zahlen des Statistischen Bundesamtes; http://kurzlink.de/zds_statistik.
24. https://www.hafen-hamburg.de/de/geschichte
25. https://www.hafen-hamburg.de/de/statistiken/seegueterumschlag
26. Auf den Webseiten der beiden genannten Initiativen finden sich an verschiedenen Stellen teilweise sehr ausführliche Abhandlungen über Geschichte, Kosten-Nutzen-Relationen und aktuelle Entwicklungen des Hamburger Hafens: http://rettet-die-elbe.de und http://www.hamburg-fuer-die-elbe.de.
27. WATERKANT, Jg. 12, Heft 2 (Juni 1997), Seite 30 ff.
28. WATERKANT, Jg. 30, Heft 1 (März 2015), Seite 31 f.
29. http://www.hamburg-fuer-die-elbe.de/?p=10642
30. Patemann, Reinhard: Bremische Chronik 1957-1970, 3-7961-1655-8
31. WATERKANT, Jg. 10, Heft 3 (September 1995), Seite 19 ff.
32. Salot, Marion: „Hafenkooperation als Zukunftsstrategie?“; Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen, 2004: http://kurzlink.de/salot_haefenstudie
33. http://kurzlink.de/bports_umschlag1
34. WATERKANT, Jg. 31, Heft 2 (Juni 2016), Seite 29 f.
35. http://kurzlink.de/ndr_jwp-chron
36. http://kurzlink.de/tiefwasser_cux
37. WATERKANT, Jg. 27, Heft 1 (März 2012), Seite 22; Heft 2 (Juni 2012), Seite 29 ff.
38. http://kurzlink.de/spiegel_jwp-eu
39. http://kurzlink.de/eca_haefen